V
Versuch
Gast
Hallo Bandit,
man merkt, dass du noch vor gar nicht all zu langer Zeit aus der stationären Therapie bist. Diese ganzen Dinge mit: Gedanken beeinflussen unsere Gefühle, Realitätsscheck sind scheinbar die selben Methoden, mit denen alle Therapeuten arbeiten und mir ist das alles ja auch nicht fremd. Nur irgendwie.... ja, irgendwie greift das bei mir nicht so gut.
Ich denke viel nach. Zu viel. Ich habe mich in den letzten sechs Jahren komplett auseinander genommen, alles hinterfragt, über alles immer und immer wieder nachgedacht, versucht, jede erdenkliche Perspektive einzunehmen.
Diese Gefühle sind trotzdem immer wieder da. Und ich würde sogar so weit gehen, diese "Gefühle" als Affekte zu beschreiben. Denn sie sind ganz plötzlich da und so fest in mir verankert, wie ein Parasit. Noch bevor ich die Situation erfassen kann, sind diese Affekte schon da > Schuldgefühle, Angst jemandem auf dem Schlips zu treten.
Natürlich versuche ich es mit dem Realitätsscheck. Deshalb Frage ich zB. euch hier, wie ihr diese Situation bewertet. Am Ende aber, und da bin ich mir sehr klar, ist Realität ja auch nur eine subjektive Sache. Jeder hat seine ganz eigene Realität. Ich denke da zB. an meine Mutter, deren Realität so gänzlich anders ist. So schwimmt doch jeder halt selbst nur in seiner eigenen Suppe und schafft sich seine ganz eigene Realität, die mit der der anderen nichts zu tun hat. Verstehst du?
Und dann stelle ich - wahrscheinlich aus völliger Selbstunsicherheit heraus - erstmal meine Realität in Frage.
Ich habe über dieses Thema gerade erst kurz mit meinem Ex gesprochen. Und das erste, was er mir sagte, war: "ich finde das allen anderen gegenüber unfair. Du nutzt deine Behinderung um dir einen Vorteil zu verschaffen und stehst nicht dazu, dass du es halt nicht rechtzeitig geschafft hast."
Nun ist mein Ex ein eher missgünstiger Mensch, der mich mit Menschen aus seiner Schulzeit verglich, die sich in Klausuren eines Spickzettel bedienten. Ich fand diesen Vergleich nicht sehr fair. Aber das Gefühl, das es auslöste ist eben: dir steht das gar nicht zu.
Mir ist klar, am Ende zählt, wie ich dazu stehe. Leider bin ich wenig selbstbewusst und schwanke dann manchmal wie ein Fähnchen im Wind in meiner eigenen Bewertung. Mir hilft es dann sehr, wenn ich ein möglichst breites Meinungsbild erhalte, um mich daran zu orientieren. Ich möchte nämlich kein Mensch sein, der seine subjektive Realität zum Maßstab aller Dinge macht.
Hallo @Schattenkind
vielleicht hilft es dir, wenn du deine Fragestellung unter dem Gesichtspunkt Fairness siehst, so wie Rawls sie definiert hat, z B so:
Angenommen, du wüsstest nur über die Situation, dass ein Studienplatz zur Verfügung steht. Dann ist es fair, dass jeder sich bewerben kann. Die Anforderungen dafür (z B Vorbildung) werden im Vorhinein definiert. Wenn sich mehr bewerben als Studienplätze vorhanden ist, wird nach sachlichen Kriterien entschieden (z B Noten oder andere Qualifikationen, die etwas über die Geeignetheit der Bewerber aussagen).
Nun haben manche Bewerber Einschränkungen, die sie nicht beeinflussen können, z B Krankheiten Aufgrund ihrer Krankheit müssen sie weitaus größere Anstrengungen machen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen als Gesunde.
Ist das fair?
Eigentlich nicht wirklich, oder? Darum gibt es Regeln zum sog Nachteilsausgleich. Dabei handelt es sich darum, dass bestimmte Studierenden Vorteile bekommen. Das wäre eigentlich unfair.
Da aber nur Studenten einen Nachteilsausgleich bekommen, die ohne diesen Ausgleich einen unfairen Nachteil gegenüber Gesunden hätten, macht der Nachteilsausgleich die Regeln insgesamt fairer. Die Kranken haben ihre Einschränkung nicht gewählt und können nichts dafür. Sie werden durch ihre Krankheit auf vielerlei Arten eingeschränkt. Warum sollten sie dadurch zusätzliche Nachteile haben?
Somit hast du nur bekommen, was dir zusteht.
Wenn du deine Situation abstrakt betrachtest, dann wirst du mir wahrscheinlich zustimmen.