Die ganzen Mutmaßungen über Tatursachen bringen überhaupt nichts. Meist haben mehrere Faktoren zu solchen Taten beigetragen: Vielleicht eine genetische Disposition zur Empathielosigkeit, Erziehungsfehler der Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrkräfte, Personen, die weggeschaut haben, Personen, die auch Luise nicht richtig zugehört haben, als sie wegen der Schikanen Hilfe suchte. Ich würde als Mutter oder Vater auch eine Zwölfjährige nicht allein durch ein Waldstück laufen lassen, um eine Freundin zu besuchen. Schon gar nicht, wenn meine Tochter sich mir oder anderen anvertraut hätte, dass sie von Mitschülerinnen schikaniert wird.
Bei solchen Taten kommt meist ein ganzes Ursachenbündel zusammen, also muss bei Präventivmaßnahmen auch bei allen denkbaren Ursachen angesetzt werden. Wir haben hier in Deutschland mittlerweile ein Klima, in dem jeder den anderen nur noch als Konkurrenz sieht. Meine Kinder müssen überall die Besten und die Tollsten sein, damit ich prahlen kann. Egal, ob es auf Kosten anderer geht. Meine Kinder müssen etwas "geboten" bekommen. Die mehrstöckigen Motivtorten zur Einschulung sind dabei noch das Harmloseste. Wenige Jahre später müssen es jedes Jahr ein neues Fahrrad, mehrere Urlaubsreisen pro Jahr, Ballettunterricht, Musikunterricht und ein eigenes Pferd sein. Alles gleichzeitig. Das ist Mindeststandard. Die Kinder haben immer recht. Wehe, jemand wagt es, meine Kinder zu kritisieren. Rücksicht auf andere brauchen sie nicht zu nehmen. Es geht nur um sie und um ihre Bedürfnisse. In den Kitas und an den Schulen gibt es auch solche und solche ErzieherInnen bzw. Lehrkräfte. Die einen machen nur das Nötigste und ansonsten sind ihnen die Kinder nur lästig. Die anderen kümmern sich wirklich, kommen aber gegen die aggressionsgeladene Gesamtatmosphäre nicht mehr an oder werden ihrerseits wegen ihres Engagements von Kolleginnen und Kollegen gemobbt. Gerade in Kitas sind solche Fälle nicht selten, in den Erzieherinnen überwiegend Kaffee trinkend herumsitzen und tratschen oder sich gar untereinander mobben, statt sich um die Kinder zu kümmern. Was sollen die Kinder denn von solchen Erwachsenen lernen?
Auch die Isolation durch Corona und das vermehrte Arbeiten im Homeoffice haben zu einem gesamtgesellschaftlichen Klima beigetragen, in dem die Menschen sich immer mehr voneinander entfremden. Wen man nur noch am Bildschirm sieht, von dem entfernt man sich auch innerlich. Die Hemmschwelle zu Schikane und Schlimmerem wird dadurch immer niedriger.
Mangelnde Zuwendung zu den Kindern wird mit völlig überteuerten Geschenken kompensiert. Was braucht eine 14-Jährige schon ein eigenes Pferd oder einen Internatsaufenthalt in der Schweiz, wie in der Dokumentation über die inzwischen 19-jährige drogenabhängige Tochter aus bestem Elternhaus aus der ZDF-Reihe "37 Grad", die jemand gestern hier in diesem Thread eingestellt hat? Zum Dank dafür wird sich auf der Straße herumgetrieben, und es werden Drogen genommen. Vielleicht ist sie in wenigen Jahren schon tot. Kinder brauchen Zuwendung, aber auch Grenzen.