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Ich weine nicht...ich kann es noch nicht begreifen.

Holunderzweig

Aktives Mitglied
Hallo liebe Kommunity,
es gab einen Anruf, bitte ruf bei H. an, ihr geht es sehr schlecht. Am nächsten Tag rief ich an, ich hörte ein Seufzen und ein: ich kann nicht reden, mir gehts so schlecht... ich setzte mich ins Auto und fuhr von der Steiermark nach München, etwa vier Stunden dauerte die Anreise. Ich betrat das Krankenzimmer und vor mir lag jemand, der aussah wie bereits verstorben- meine Zwillingsschwester Heidi. Sie öffnete die Augen, diese waren sonderbar leer, sie selbst wirkte einfach nur grau, uralt, matt, eingefallen- das änderte sich mit jeder Minute. Ich konnte beobachten, dass sie wieder "zurückkehrte", ihre Augen sahen wieder lebend aus, sie selbst ebenso, sie antwortete immer lockerer, sie und ich unterhielten uns wie früher, kein Tod mehr weit und breit. Sie war gar nicht so dünn, wie sie meinte, für mich war sie zwar dünner, aber auf keinen Fall abgemagert total, sie hatte noch Fleisch an den Beinen, wir scherzten, nicht geheuchelt, uns war danach. Meine Schwester war rege, sie wirkte nicht mehr welk, wie in der ersten Minute meines Eintreffens. Nachher kamen noch zwei meiner anderen Schwestern dazu, wir konnten alle nicht fassen, wie kann das nur sein, keine Krankheit im Raum, es war wie früher, wir unterhielten uns ganz normal, ganz sonderbar, herzlich, leicht, froh- kraftvoll, nicht mehr matt.., wir stellten uns dann im Kreis auf und machten "Batterie laden", es war regelrecht heiter und sie fragte, magst an Kaffee, magst an Soft ( dialekt), man konnte meinen, alles wird wieder gut. Das war nur ein Schwächeanfall, jetzt gehts wieder aufwärts... So sagte ich auch zu ihr, du hast dem nicht nachzugeben, füge dich nicht, leb weiter.
Drei Stunden gabs Zusammensein, zwischendurch traf der Ehemann ein, er rauchte mit mir im Park vor dem Spital eine Zigarette und erzählte vom Autokauf, über die Vorverhandlungen, über die Extras seines gestern erstandenen neuen Wagens, beim Ansprechen über den Zustand meiner Schwester meinte er, man sagte mir, ich habs ihr schon gesagt(!!!!), zehn Tage noch etwa, höchstens zwei Monate, länger gibt man ihr nicht. "wie sie gehört hat, dass sie diese Prognose hat, da drehte sie total durch, ich will nicht sterben!! - das erzählte er in einem komplett ungerührten Tonfall, man könnte meinen, er ist keiner, der lange trauern wird, man hatte den Eindruck, ihm kanns nicht schnell genug gehen.

Liebe Kameraden, so wie es aussieht, gabs hier wohl einen Zweikampf.

Es ist am Mittwoch die Beerdigung.

Zwei Tage nach diesem Wundertag, ( so habe ich sie in Erinnerung und an der halte ich derzeit noch fest) erzählte man mir, "nahm sich ein Arzt die Zeit" und besprach mit ihr ihren kommenden Tod. Sie haben verfügt, keine lebenserhaltenden Maßnahmen zu ergreifen, sind sie bereit, wir stellen die Behandlung ein, haben sie abgeschlossen, es folgte ein Panikanfall, sie fürchtete sich irrsinnig, erzählte das auch meinen Schwestern, die damals abwechselnd wachten, man gab ihr Angstlösende Medikamente, man setzte die Morphiumdosis hinauf, man spritzte ihr Beruhigungsmittel und wartete.

Ich schiebe den Zeitpunkt hinaus, wo ich ...??? Ich weiß nur eins, gäbe es diesen Tod nicht, was gäbe es als Alternative?

Letztes Jahr war sie oft krank, ab Juni etwa fings an, sie ging zum Arzt, dieser gab ihr Medizin, diese half nicht, Rückenschmerzen, heftig, Gichtanfälle, geschwollen, Schmerzen, abnehmen, irgendwann sagte meine Schwester, ich verlasse die Praxis erst, wenn geklärt ist, was ich habe!!! Es folgte eine Durchuntersuchung,.... Nierenkrebs... auch Lungenkrebs, ebenso Knochenkrebs wurde diagnostiziert, das war im November, nachher Gehirntumor...

Ich habe mich um Dezember herum bei ihr einquartieren wollen, um ihr alles abzunehmen, ich fühlte vor, kam zu Besuch, ihr Ehemann war sehr gereizt und alles andere als einverstanden, ich fühlte meiner Schwester auf den Zahn und damals sagte sie, ich kann die Medizin nicht runterkriegen, mir graust so davor, ich frag auch nicht, was helfen könnte, würde es eh nicht nehmen..
Also war das eigentlich eine Art Verfügung..lasst mich machen, wie ich will. Ich will mir nicht helfen lassen. Laut ihren Aussagen an diesem Sonntag, wo ich sie das letzte mal gesprochen habe, da sagte sie mir, sie hat nie Weh gehabt, die Behandlungen haben also dafür gesorgt, dass sie eigentlich Schmerzfrei war in den letzten Monaten.
 

weidebirke

Urgestein
Das ist doch normal, jeder Mensch geht anders damit um.

Es tut mir so leid für Dich, dass Du Deine Zwillingsschwester verloren hast. Es war toll, dass Ihr diesen Wundertag hattet. Sie hat für sich entschieden, wie sie mit ihrer Krankheit umgehen will und es ist super, dass sie keine Schmerzen hatte.

Jetzt wirst Du zu tun haben, mit Deinem Schmerz klar zu kommen. Das wird noch eine ganze Weile dauern. Wird hoch und runter gehen.

Für diese Zeit wünsche ich Dir Kraft, Geduld und verständige Lieben um Dich rum, die Dich sein lassen, wie Du bist 😘 .
 

Shorn

Sehr aktives Mitglied
Das ist doch normal, jeder Mensch geht anders damit um.

Es tut mir so leid für Dich, dass Du Deine Zwillingsschwester verloren hast. Es war toll, dass Ihr diesen Wundertag hattet. Sie hat für sich entschieden, wie sie mit ihrer Krankheit umgehen will und es ist super, dass sie keine Schmerzen hatte.

Jetzt wirst Du zu tun haben, mit Deinem Schmerz klar zu kommen. Das wird noch eine ganze Weile dauern. Wird hoch und runter gehen.

Für diese Zeit wünsche ich Dir Kraft, Geduld und verständige Lieben um Dich rum, die Dich sein lassen, wie Du bist 😘 .
Hallo @Holunderzweig
Ich bin kein Mann der großen Worte und schließe mich daher den Worten von Weidebirke an.
Nach der Zeit der Trauer kommt die Zeit der Erinnerung an jene Menschen die der Tod von uns nahm.
LG
Shorn
 

Werner

Sehr aktives Mitglied
Was denkwürdig ist, das ist meine Gefühlswelt.

Ich steh irgendwie außen vor.
Mensch, Holunderzweig ... da bleibt mir ja auch kurz der Atem stehen, wenn ich das lese und mitfühle. So ein Wechselbad des Lebens. Und mehr oder weniger/meist hilflos ansehen müssen, verbunden fühlen aber doch ohne entscheidenden Einfluss. Kommt mir alles sehr bekannt vor, bei sehr nahen und auch etwas weiter entfernt-nahen Menschen.

Dieses "Außen-vor-stehen", das du erlebst und das der Ehemann deiner Zwillingsschwester womöglich auch zeigte, ist, wie mir scheint, eine relativ gesunde Reaktion auf diese Macht- und Hilflosigkeit, eine Art Abnabeln, Abstandnehmen, Ablösen. Als ob jemand neben uns zu nahe am Abgrund geht, die angebotene Hand nicht nehmen will und man dann selbst einen Schritt zurück muss, um nicht selbst in Gefahr zu geraten.

Zur Trauer nach dem "Absturz" kommt dann fast unweigerlich das Gefühl hinzu, nicht genug getan, nicht entschieden genug insistiert, nicht noch das letzte Selbstopfer gebracht zu haben etc. – und das kann jahrelang halten und nagen, bis der dicke Balken durch ist oder die Zähne weg. Bis dahin muss man diesen Gedanken Widerstand leisten und andere, sinnvollere, entgegenstellen. Gedanken über das gemeinsam verbrachte Leben etwa ... und dann, irgendwann vielleicht, und das wünsche ich dir: "... zu erkennen, dass alle Dinge eines sind und dass der Geist ewig dauert. " (Tschuang-Tse)

Alles Gute dir und mein aufrichtiges Beileid!
Werner
 

Savay

Aktives Mitglied
Was denkwürdig ist, das ist meine Gefühlswelt.

Ich steh irgendwie außen vor.
Mein Beileid Holunderzweig..

Du brauchst dir keinen Kopf um deine Gefühlswelt machen. Du wirst es so verarbeiten wie es für dich gut ist.

Einen Verlust realisiert nicht jeder sofort oder auf die gleiche Weise.
Erst mal ist da wahrscheinlich ein nicht realisieren,- nicht wahr haben wollen.
Ich finde das einen sanften Weg. Ging mir auch so als meine Schwester gestorben war.
Ich war gefasst, beherrscht, irgendwie wie ein Stein.
Der Verstand begreift es vielleicht, aber die Gefühle hängen hinter her.
Manchmal dachte ich auch, da baut sich eine Welle auf wie ein Tsunami. Erst zieht es alle Gefühle weg, man ist wie gefühlslos und irgendwann wird man von der Wucht der Welle mitgerissen und darunter begraben.
Aber dem war nie so. Immer mal wieder erträgliche Wellen die mich nicht mitrissen.
Vielleicht ist es bei dir auch so. Der Trauerprozess ist sehr individuell.

Schön das ihr noch so einen vertrauen Moment kurz vor ihrem Gehen zusammen verbracht hattet. 💕
Dafür kannst du wirklich dankbar sein.
Auch ihre Verfügung hat euch sicher viel Leid erspart.
Ob sie dabei an euch gedacht hat?

Viel Kraft für die kommende Zeit 🌺
 

Holunderzweig

Aktives Mitglied
Das ist doch normal, jeder Mensch geht anders damit um.

Es tut mir so leid für Dich, dass Du Deine Zwillingsschwester verloren hast. Es war toll, dass Ihr diesen Wundertag hattet. Sie hat für sich entschieden, wie sie mit ihrer Krankheit umgehen will und es ist super, dass sie keine Schmerzen hatte.

Jetzt wirst Du zu tun haben, mit Deinem Schmerz klar zu kommen. Das wird noch eine ganze Weile dauern. Wird hoch und runter gehen.

Für diese Zeit wünsche ich Dir Kraft, Geduld und verständige Lieben um Dich rum, die Dich sein lassen, wie Du bist 😘 .
Danke liebe Weidebirke- das Schmerzlichste ist momentan für mich, weil sie dieses "Gnädige" zuletzt nicht vorgefunden hat, der Tag, an dem der Arzt so mit ihr redete brach ihr das Genick.
Muss man den Zeitpunkt kennen, wissen, wann man genau stirbt? Dahinträumen, während des Träumens aushauchen, so hätte es auch sein können. Ich kann das einfach nicht begreifen..nichts hätte sie gemerkt, nichts gespürt, niemals diese unendliche Panik gekriegt. Sie hätte sanft rüberwechseln können, so ähnlich, wie bei mir mal war, wo ich in Ohnmacht fiel. Damals war das ein Bruchteil von einer Sekunde, weg war ich. So stelle ich mir sterben vor. Man hat plötzlich black out. Keine Regung mehr. Brauchts ein Wachrütteln, um zu informieren, so, nun ist es so weit, sind sie bereit; verabschieden sie sich noch, dann gehts hops.. sie werden jetzt sterben.
DAS tut mir so weh, ebenso wie das Vorher war, es war für sie wie für uns alle eine Tragödie. Bei mir gabs Schonung, ich "durfte" alles wesentlich gefilterter miterleben. Wegen dem und deshalb kommts mir vor, als wäre das ein Traum im Traum.
 

Holunderzweig

Aktives Mitglied
Hallo @Holunderzweig
Ich bin kein Mann der großen Worte und schließe mich daher den Worten von Weidebirke an.
Nach der Zeit der Trauer kommt die Zeit der Erinnerung an jene Menschen die der Tod von uns nahm.
LG
Shorn
Mein lieber guter Shorny..danke.

Die Erinnerung.... sie war an mich gebunden, die ganze Kindheit lang war sie und ich als Paar auftretend, wie meine zwei Brüder als Paar unterwegs waren und die älteren beiden Schwestern. Nachher war noch ein Nachzügler, meine jüngste Schwester war praktisch ein Einzelkind.
Wir mussten in einem schmalen Bett gemeinsam schlafen, ich lag mit dem Kopf bei ihren Füßen.
Wir stritten viel, einmal hat sie ein Kissen über mein Gesicht gehalten und sich draufgekniet. Da hatte ich Todesängste. Es gab auch "Todesängste", wenn sie mich ertappte, egal bei was, sie war im Rollenmuster meine Erzieherin, ich ihr ewig ungehorsames Kind, sie war sehr ordnungsliebend, ich chaotisch, sie war sehr, sehr brav, ich ein Anarchist, der stets Kopfschütteln auslöste bei ihr. Wir besuchten die gleiche Hotelfachschule, waren zugleich im selben Hotel auf Saison, zogen zugleich der Familie nach München nach, die dort als Gastarbeiter bereits seßhaft war, wir lernten zugleich unsere Männer kennen und heirateten kurz hintereinander, wir bekamen zugleich unsere ersten Kinder, die lagen dann im Kinderwagen, einer mit dem Kopf bei den Füßen des anderen. Wir saßen nebeneinander beim Stillen und heulten gemeinsam über unsere doofen Männer- die selbst wiederum über uns doofe Frauen klagten.
Für mich hatte sie ein perfektes Zuhause, sehr behütet und trotz aufmüpfigen Ehemann gabs diese geborgende Häuslichkeit, weißt eh, wo man zwar motzt, aber eigentlich rundherum alles hat, was satt und zufrieden dahinleben lässt. Das macht mich ruhig, die ganze Zeit hatte sie genau so ein Leben, wie es sich die meisten wünschen- bis auf diese "Abendstunde".
 

Weihnachten

Mitglied
Ich bin ganz berührt von deiner traurigen Geschichte, auch wenn ich dich nicht kenne. Ich wünsche dir alles Gute und viel Kraft, um über den Schmerz und vielleicht auch die Wut auf diesen Arzt hinwegzukommen, der deine Schwester nicht friedlich in ihren letzten Abend hinein, aus diesem, ihrem Leben wegträumen ließ, mein herzliches Beileid!
 

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