Ich habe nach dem Abitur zunächst ein Psychologiestudium aufgenommen, bin aber bereits nach einem Semester zu Jura gewechselt. Den Wechsel habe ich - trotz der Versagensangst bei Jura, die wirklich die meisten Studierenden trifft und auch mich stark getroffen hat - auch nie bereut. In meiner gesamten Verwandtschaft hatte ich damals keine Akademiker, geschweige denn Juristen. War ein harter Weg und hätte auch schiefgehen können.
Den in Juristenkreisen üblichen sprachlichen Stil habe ich mir gut aneignen können, obwohl meine Eltern nur Volksschulbildung hatten. Ich hatte auf dem Gymnasium immer mindestens die Note "Gut", oft auch "Sehr gut" in Deutsch, Fremdsprachen inklusive Latein und in Mathe. Vor über 40 Jahren waren diese Noten noch etwas wert. Mein Vater hatte ebenfalls eine angeborene Sprachbegabung. Ich kann mich an keinen einzigen Fehler erinnern, den er jemals in der deutschen Rechtschreibung oder Grammatik gemacht hätte. Er achtete bei meiner Schwester und mir auch auf die Sprache, Fehler und Nachlässigkeiten wurden sofort verbessert.
Die typische Sprache des Bildungsbürgertums wurde in meinem Elternhaus dennoch nicht gepflegt. Bestimmte Redewendungen, die man eher mit höherer Bildung assoziiert, gehörten nicht zum aktiven Wortschatz und auch längst nicht alle Fremdwörter, die ich heute wie selbstverständlich verwende. Da habe ich mir im Studium, Referendariat und auch noch darüber hinaus vieles aneignen müssen, dank Sprachkompetenz allerdings auch ohne große Mühen aneignen können.
Karrierenachteile habe ich eher gehabt, weil auch die typische Selbstdarstellung des Bildungsbürgertums in meiner Familie nicht üblich war. Meine Eltern traten in Gesellschaft bescheiden auf, wussten sich nicht in Szene zu setzen und stapelten eher tief. Letztlich kann ich mit dem, was ich im öffentlichen Dienst erreicht habe, aber durchaus zufrieden sein.
Psychologie ist im Vergleich zu Jura viel unstrukturierter, dort wird nach meiner Wahrnehmung wesentlich mehr nebulös geschwafelt, was weder Hand noch Fuß hat. Die meisten Studierenden lagen mir auch von ihrer Art her nicht so. Diese Typen hätte ich mir nicht dauerhaft als mein berufliches Umfeld vorstellen können. Die Notengebung ist bei Psychologie zwar wesentlich besser als bei Jura. Aber dafür ist ein "Vollbefriedigend" in Jura auch auf dem Arbeitsmarkt mehr wert als ein "Sehr gut" in Psychologie oder gar in einem Lehramtsstudium, wo diese Note inflationär vergeben wird. Im Fernstudium wird einem der Master in Psychologie anscheinend nachgeschmissen, und manche Leute meinen dann, wer weiß welche Ansprüche sie aus dieser Qualifikation herleiten können. Wenn's einem nur darum geht, dann nur zu!
Mit Jura hat man darüber hinaus mehr berufliche Möglichkeiten: Rechtsanwalt/Rechtsanwältin, Staatsanwalt/Staatsanwältin, Richter/in, öffentlicher Dienst (höherer Verwaltungsdienst) inklusive Kommunal-, Landes- und Ministerialverwaltung, Polizei, Politik, Privatwirtschaft oder Fachfremdes wie etwa Journalismus.
Anspruchsvoll ist das Fach natürlich schon. Man muss viel Zeit investieren, Prädikatsnoten (ab Vollbefriedigend aufwärts) sind rar gesät und die Durchfallquote, insbesondere im 1. juristischen Staatsexamen, ist hoch. Der Frauenanteil bei den Studierenden beträgt mittlerweile über 60 Prozent, also lass' dir nicht weismachen, Frauen seien dort unterrepräsentiert. Frauen werden nach meinem Dafürhalten in den juristischen Berufen auch nicht generell benachteiligt. Dazu sind sie viel zu sehr auf dem Vormarsch.
Nebenher zu arbeiten, ist beim Jurastudium zwar nicht völlig unmöglich, aber schwierig. Das schaffen auf Dauer nur besonders Hartgesottene. Dadurch verlängert sich auch die Studiendauer. In der Examensvorbereitung, für die man gut und gern ein ganzes Jahr investieren muss, und im eigentlichen Examen kann man Arbeiten nebenher in aller Regel vergessen.
Eine exzellente Sprachkompetenz bis in die feinsten Nuancen, eine ausgeprägte Fähigkeit zum abstrakten und logischen Denken, präzises, sorgfältiges Arbeiten, Ausdauer und Belastbarkeit sind unabdingbar. Interesse an Politik sowie an anderen Wissensdisziplinen und der Blick über den Tellerrand sind wichtig bzw. sehr hilfreich. Juristen sind "Spezialisten für das Allgemeine", wie man so sagt. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für Juristinnen. ;-)
Die Entscheidung kann jeder Mensch nur für sich selbst treffen. Jeder Mensch ist einzigartig, auch in seinen Begabungen und Persönlichkeitseigenschaften. Für mich war Jura eindeutig die bessere Wahl, aber das muss bei dir nicht ebenso sein.