Hallo name123,
wie gesagt, habe ich mehrere Therapien gemacht. Erstmal war ich 3 Monate in einer psychosomatischen Klinik (dort gab es zwei unterschiedliche Psychotherapien), dann zwei Jahre Psychoanalytische Psychotherapie. Später wieder 3 Monate psychosomatische Klinik, dann eine kognitive Verhaltenstherapie (hm, vielleicht 2-3 Jahre?), danach eine undefinierbare Gesprächstherapie, vielleicht zwei Jahre? Dazwischen noch drei Gruppentherapien, das können zusammen etwa 3 - 6 Jahre gewesen sein ... später noch mehrere Therapiewochenenden ... ich weiß, die Kinnlade ist dir längst runtergefallen.
Bei mir war eben in vielen Bereichen vieles im Argen, es war schon extrem. Aber es war auch ganz sicher so, dass ich bis jetzt noch nicht die richtige Therapie bekommen habe. Immer nur Versatzstücke.
In der Klinik wurden bei mir die Grundlagen für das Verständnis meiner Probleme gelegt und die aktuellen Themen bearbeitet. Beim zweiten Mal ging es um positive Rückmeldungen, weitere Erklärungen, und damals haben mir die Kontakte zu den anderen Patienten sehr geholfen, selbstsicherer zu werden. Das Schöne an einer Klinik ist, dass man sich dort nicht zu verstecken braucht. Alle haben ihre Baustellen, und man wächst jeden Tag ein ganz kleines Stück. Manchmal auch ein größeres. Man hilft sich gegenseitig. Manchmal wird man gebissen oder beißt andere - und lernt auch daraus. Leider gab es in meiner Klinik als Einzeltherapie nur Psychoanalytische Psychotherapie. Die kreativen Gruppentherapien waren im Prinzip gut, dort geht es um das Bewusstwerden und Bearbeiten von unbewussten Emotionen und falschen Glaubenssätzen, sowohl im Umgang mit sich selbst als auch mit anderen. Gruppentherapien können ziemlich hart sein, aber wie gesagt, man lernt auch dadurch etwas.
Ein anderer Patient sagte mir mal: "Das hier ist ein Tempel!"
Ich denke, er hatte Recht.
Die Psychoanalytische Psychotherapie in Reinform ist relativ gut, um die Ursachen von Symptomen wie Depressionen, Ängsten oder Sucht aufzudecken und zu verstehen, wie man persönlich, die eigene Familie und die Seele im Allgemeinen funktioniert. Aber was die Heilung der Wunden anbelangt - fast völlige Fehlanzeige. Ja, es gibt jemanden, der geduldig zuhört und im besten Fall echtes Interesse hat (das war der Fall bei mir). Aber die Therapeuten sitzen da und sagen kaum was. Kaum Ratschläge, kaum Erklärungen. Am ehesten noch Fragen, die einen weiterbringen. Man muss fast alles (bei mir waren das sicher 80 - 90 Prozent der Erkenntnisse) selbst herausfinden. Und klar, wenn man mir 50 Jahre Zeit gibt, finde ich ganz sicher alles allein raus.
Also ich hab dort sehr geackert, vieles über mich und meine Familie gelernt (z. B. über Machtstrukturen und seelischen Missbrauch), und die Geduld und das Strahlen meiner Therapeutin genossen, wenn sie mich begrüßt hat. Aber wirklich geholfen hat sie mir fast nie, sie hat mich also weitgehend allein gelassen. Das Ganze hat hat mich schon ein wenig stabilisiert, aber eher wie eine Krücke anstatt wie eine notwendige Operation.
Reine Psychoanalytische Psychotherapie - nie wieder.
Dann die kognitive Verhaltenstherapie, kombiniert mit anderen Methoden: In dieser Therapie geht es vor allem um konkrete, praktische Umsetzung von Zielen. Das war sehr hilfreich, es gab Rollenspiele, es gab die Abklärung von Ängsten und Maßnahmen gegen die Angst, bevor ich bestimmte Unternehmungen gestartet hab (z. B. was habe ich befürchtet, wie realistisch ist die Angst, was könnte gegen die Angst helfen). Soviel ich weiß, habe ich diese Therapeutin etliche Male gefragt, was in der einen oder anderen Situation eigentlich "normal" ist - was man nicht unbedingt weiß, wenn man in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen ist. Ich habe öfters ein positives Feedback bekommen. Aber in einer kognitiven Verhaltenstherapie erhält man von der Kasse deutlich weniger Stunden zugebilligt als in einer Psychoanalytischen Psychotherapie. Die k. V. hätte mir in der Anfangsphase nie gereicht.
Durch diese Therapie bin ich deutlich selbstbewusster geworden und habe mich im Alltag viel sicherer bewegt. Aber ohne all die Erkenntnisse, die ich davor gewonnen hatte, wäre es auch nicht gegangen.
Ich könnte mir vorstellen, dass heutige Psychoanalytiker auch andere Methoden anwenden. Weiß ich aber nicht.
Natürlich habe ich mir noch vor meiner ersten Therapie viele Gedanken gemacht, ich habe immer in dem Sinne "gegrübelt", dass ich mich gefragt hab, wie dies und jenes zusammenhängt, was normal ist, was nicht, wie man Leute schneller durchschaut (was ist das für ein Typ, was ist ihm wirklich wichtig, kann ich dem oder der vertrauen, welche kranken Strukturen herrschen in meiner Familie?). Es geht dabei natürlich um Analysen (um Kenntnisse aus der Sozialpsychologie, der klinischen und Entwicklungspsychologie), und ich würde dieses Wissen um nichts in der Welt wieder hergeben! Ich habe den Eindruck, dass ich viel Intrapsychisches und Interpersonelles verstehe, und seit ca. 19 Jahren sagen mir die Therapeuten, bei denen ich hin und wieder auftauche, dass ich "die Dinge" sehr klar sehe. (Klar weiß ich nicht "alles", aber das meiste für mich Wichtige.) Ich spüre einfach eine ungeheure Erleichterung darüber, dass ich in vielen Situationen weiß, was los ist, anstatt im Stockdunkeln in der Wüste herumzutappen und verzweifelt nach Wasser zu suchen, wie am Anfang. Ich bin überzeugt davon, dass in vielen Familien eine Art Gehirnwäsche praktiziert wird - unbewusst zwar, aber leider ungeheuer wirksam. Die muss natürlich weg.
In den Gruppentherapien (vor allem KBT, Konzentrative Bewegungstherapie) ging es in erster Linie darum, die eigenen Bedürfnisse besser kennenzulernen, anderen Leuten Grenzen aufzuzeigen, wenn nötig, und mit Nähe besser umzugehen.
Durch Selbstbeobachtung, Bücher und Therapien weiß ich, wie ich schwere Depressionen schon zu Beginn ersticken kann (nämlich vor allem durch Weinen und Wut spüren), aber es kommt noch anderes dazu. Meine Ängste sind viel geringer geworden. Ich bin im Umgang mit anderen viel geschickter als früher. Ich fühle mich viel selbstsicherer. Ich weiß viel besser, was mir gut tut und was nicht. Ich kann anderen Leuten Grenzen setzen, ich mag mich lieber, ich weiß, wie wichtig es ist, sich selbst "zu beeltern" und tue es auch (wenn auch nicht oft genug). Ich habe etliche große Illusionen verloren, was sehr schmerzhaft war, aber notwendig. Ich habe mich von Leuten getrennt, die mir nicht gut tun. Ich habe mich von meinem alten religiösen Glauben und der Kirche endgültig gelöst und habe einen neuen Glauben, der, wie ich finde, keine Dogmen hat und mir logischere Erklärungen für vieles bietet. Ich weiß viel besser, welche Menschen zu mir passen und welche nicht. Ja, und es geht mir einfach sehr viel besser als früher. Wenn auch nicht so gut, wie ich es gern hätte.
Es gibt noch Symptome, die sich überhaupt nicht gebessert haben. Daher bin ich immer noch auf der Suche nach einer Therapie, die mir helfen soll, mich an ganz frühe Begebenheiten zu erinnern. Ich weiß, dass ich damals einige sehr schmerzhafte Erlebnisse hatte, meine Eltern wissen es auch, aber das pure Wissen nützt hier nichts. Man muss die Emotionen und die ganze Situation damals wiedererleben. Bisher hat in diesem Zusammenhang noch keine Therapie bei mir geholfen - bei anderen Leuten schon. Das ist ja oft sehr individuell.
Die sinnvollste Therapie bei tiefgehenden und umfassenden, bewussten und halb-bewussten Problemen, von der ich je gehört hab, ist die Schematherapie. Das ist eine Therapieform aus den USA, die erst ab ca. 1990 entwickelt wurde. Das Wichtige bei dieser Therapie ist eigentlich etwas völlig Normales: Dass man mehrere Aspekte der Persönlichkeit innerhalb
einer Therapie behandelt. Die Therapeuten befriedigen die Bindungsbedürfnisse (begrenzt), kümmern sich um Kognitionen, Verhalten und Emotionen, also um alles. Es gibt Dialoge, es gibt Imaginationen und Rollenspiele, es gibt "Hausaufgaben", Mitgefühl, Anleitung, aber auch Herausforderungen, und natürlich sind alle Interventionen des Therapeuten auf jeden Patienten persönlich und die jeweilige Behandlungsphase zugeschnitten. Im Grunde kann man sagen: Da hat endlich mal ein Therapeut (Jeffrey Young, der Begründer der Schematherapie) seinen gesunden Menschenverstand benutzt. Keine Grabenkämpfe mehr.
Leider gibt es in Deutschland noch nicht viele Schematherapeuten, und in meiner Umgebung ist noch keiner.
Ganz kurz zu "Liebe": Meine Mutter hat mich immer sehr gern gehabt. Aber auf die Art und Weise, wie man das Steak auf dem Teller mag: Das Ding hat dazubleiben und stillzuliegen, damit man es sich in Ruhe einverleiben kann. Fleisch ist ein Gegenstand, daher muss man nicht auf irgendwelche Bedürfnisse Rücksicht nehmen. Gott sei Dank.
Was das Nehmen und Geben in einer Freundschaft anbelangt, hab ich mich nicht ausführlich genug ausgedrückt: Freundschaften funktionieren ja nur, wenn beide etwa gleich viel geben und nehmen können. Ich glaub dir, dass du nicht mehr nehmen als geben willst. Die Frage ist nur, ob man sich zu Leuten hingezogen fühlt, die genauso schwierig oder gesund sind wie man selbst. Klar, es tut gut, überhaupt mit jemandem zu reden. Aber würdest du jemanden
sehr mögen, der so ähnlich ist wie du? Du hast ja geschrieben, dass für dich Scham und Unsicherheit wichtige Themen sind. Ich könnte mir vorstellen, dass es dabei auch um innere Leere geht. Du schreibst, dass du kein Interesse an Hobbys hast - ich vermute mal, dass die Sehnsucht nach Kontakten bei dir so groß ist, dass alles andere kaum eine Rolle spielt. Und ich denke, du bist emotional ausgehungert. Ich denke, dass alle Leute, die gesünder sind als du, also erfüllter, glücklicher, dich ablehnen würden. Das ist ein sehr schmerzhafter Gedanke, ich weiß, und mein Ziel ist natürlich nicht, dich zu verletzen, aber ich denke, es ist generell einfach so. Eine Art "Naturgesetz". Bei mir war das auch so. Ich mochte eigentlich nur die Leute richtig gern, die deutlich gesünder waren als ich (selbstsicherer, fröhlicher) und mir durch ihre Art, ihre Ausstrahlung mehr "gegeben" haben als ich ihnen geben konnte - die mich dann aber alle irgendwann fallengelassen haben. Logischerweise.
Ich kann viel Mitgefühl und Verständnis für sehr viele Menschen, denen es schlecht geht, aufbringen. Ich kann das alles sehr gut verstehen. Aber mich würden z. B. Leute im realen Leben, die sehr depressiv sind, total herunterziehen. Ich könnte die Depression anderer Leute auf Dauer nicht aushalten. Und um ehrlich zu sein: Leute, die ungefähr so gesund oder krank wie ich sind, denen gegenüber habe ich gemischte Gefühle. Tja, da ist bei mir noch einiges zu tun.
Und ja, es stimmt, dass die Menschen ein unterschiedlich starkes Bedürfnis nach Nähe haben. Ich dachte halt, dass du dich gern mal bei einem Freund oder einer Freundin "anlehnen" würdest (oder auch öfter), weil du das vermutlich noch nie oder kaum erlebt hast. Aber vielleicht ist es gar nicht so.
Soviel für heute.
Ich schreibe übrigens generell sehr gern über diese Themen, deshalb auch gern längere Beiträge.
Schöne Grüße,
Kaela