Mir geht es ähnlich wie tonytomate, ich bin ja auch hörgeschädigt. Größere Gruppen oder laute Umgebungen sind der Horror für mich und ich sitze dann nur noch die Zeit ab und bin froh, wenn ich endlich wieder in einer für mich passenden Umgebung bin. Daher kann ich sehr gut verstehen, dass es dir widerstrebt, an solchen Veranstaltungen teilnehmen zu müssen. Ich klinke mich auch weitgehend aus, einfach weil es mir nichts bringt - meinen Gesprächspartnern ja übrigens auch nicht, weil ich sie nicht verstehe. Und sicherlich bist auch du dann nicht der angenehmste Gesprächspartner, denn das Gegenüber hat ja auch Antennen.
Mich ärgern auch diese Diskussionen überhaupt führen und anderen erklären zu müssen, warum ich mich herausziehe aus den Treffen und wie ich ticke. Man möchte sich nun mal nicht jedem wildfremden Menschen offenbaren.
Mich würde die Empfehlung deiner Ärztin sehr ärgern. Die sollte es doch wohl am besten wissen, dass du anders tickst. Dennoch würde ich da noch einmal ansetzen und versuchen, ein Attest zu bekommen. Erkläre ihr, dass dich dieser Zwang belastet, du dich sehr unwohl fühlst und keinerlei Vorteile empfindest, stattdessen Nachteile erleidest, wenn du dich in diese Situationen begibst. Diese Diskussion mag anstrengend sein, ich würde sie aber durchfechten. Eigentlich geht es allein um die Frage: Warum muss ich an etwas teilnehmen, dass mir spürbar nur schadet? Bitte die Ärztin, dir die vermeintlichen Vorteile aufzuzueigen und entkräfte jeden einzelnen: Ä: "Sie lernen dort neue Menschen kennen." Du: "Die Menschen, die ich kenne, reichen mir. Ich habe gar kein Bedürfnis, neue Menschen kennenzulernen." Das würde ich mit allen Aspekten durchnudeln, die sie nennt und immer wieder deine Bedürfnissen anbringen, die eben anders sind als die eines normal tickenden Menschen. Du kannst auch sagen, du hättest es ja bereits mehrfach ausprobiert, weil du dich grundsätzlich nicht verschließt, fühltest dich aber jetzt einmal mehr bestätigt, dass das für dich nichts ist. Ist das denn eine Fachärztin oder deine normale Hausärztin?
Ich bräuchte keines dieser Treffen, leider kann ich mich auch nicht immer entziehen vor allem, wenn es berufliche Termine sind wie z.B. Jahresabschlussfeiern, Jubiläen, Workshops oder so etwas. Dann denk ich mir "Augen zu und durch" - Spaß macht mir das nicht und ich bin dann auch meist eine der ersten, die geht.
Ich kann übrigens auch sehr gut verstehen, dass Menschen das anders sehen, die nicht betroffen sind. Als ich noch nicht so stark beeinträchtigt war, war ich bei allen Ereignissen begeistert dabei und habe tatsächlich auch die ganzen Vorteile mitgenommen.
Diversität zu leben im Hinblick auf Inklusion bedeutet für mich auch die Akzeptanz von Andersartigkeit in all ihren Facetten. In unseren Fällen z.B. uns als der Gesellschaft zugehörig zu sehen, selbst wenn wir nicht dabei sind. Inklusion und Integration bedeuten nicht, das Verständnis der Nicht-Behinderten zu bedienen, sondern die Bedürfnisse der Betroffenen so zu berücksichtigen, dass sie sich wohlfühlen.
Da gibt es noch viel zu lernen.