Nostalgie ist doch erstmal etwas Positives, weil wir gute und schöne Erinnerungen haben an unser Leben. Im Geschichtsverlauf gesehen dominieren die 70er und 80er Jahre als goldene Zeit, als Abschnitt zwischen Nachkriegszeit, Wiederaufbau und der jetzigen Krisenzeit, die kein Ende nehmen will.
Ja, teilweise trauere ich um diese Zeit, als ich noch energiegeladen voller Pläne und Ideen war, und mindestens die Welt verändern wollte. Das war ein Privileg, das weder die Generation vor uns noch die nach uns erleben durften. Vielleicht fällt es auch mit einer Art Lebensbilanz zusammen, der Frage, was aus unseren Plänen wurde, was wir erreicht haben oder auch nicht, zusammen mit der ständig schrumpfenden Lebenszeit, die uns im Alter verbleibt.
Make love, not war, Atomkraft nein danke, etc. - was ist von diesen idealistischen Vorstellungen geblieben? Die Welt explodiert in immer mehr Krisen und Kriegen, wird zunehmends brutaler statt humaner, obwohl wir es doch besser wüssten. Wer denkt da nicht wehmütig zurück an eine Zeit, als Arbeitslosigkeit ein Fremdwort war, jeder eine Wohnung bekommen konnte, Anstellungen meist lebenslang galten.
Ich für meinen Teil bin dankbar, dass ich diese Zeit erleben durfte, als junge Männer mit langen Haaren und bunten Gewändern auf den heimischen Wiesen für Love und Peace tanzten, als Sex ein üblicher und selbstverständlicher Lebensbestandteil war, bevor mit Aids und HIV die Götterdämmerung aufzog, um neue Spießigkeit und Rückzug auf die Paarbeziehung einzuläuten. So wie jetzt auch Corona seine gesellschaftlichen Spuren hinterlassen hat.
Naja, in den 80iger Jahren gab es durchaus Arbeitslosigkeit und vor allem Wohnungsknappheit, Schwierigkeiten, eine Wohnung zu bekommen. Soweit ich weiß, war es auch schwierig, einen Ausbildungsplatz zu bekommen im Gegensatz zu jetzt.
Und es gab die Bedrohung bezüglich eines Atomkrieges, und auch die Bedrohung bezüglich der Natur, saurer Regen und so.
Es gab Tschernobyl z. B.
Es gab mehr Idealismus, mehr Aufbruchstimmung von überwiegend alternativ eingestellten jungen Leuten. Es gab Hausbesetzungen, es gab Friedensdemos, es gab die Frauenbewegung, man fühlte auch eine gewisse Verbindung zu vielen Leuten
und man konnte das auch so gut feiern mit der entsprechenden Musik, mit Festivals und Konzerten, Veranstaltungen usw.
Es war eine schöne Zeit, für mich, aber auch eine schwere Zeit für mich persönlich.
Schwer waren für mich meine persönlichen Probleme, meine psychischen Probleme.
Wenn ich an die Vergangenheit denke, ist nicht alles toll.
Toll war damals, das Gefühl jung zu sein und die Hoffnung, das für mich persönlich alles besser werden könnte. Weil ich ja noch Zeit hatte.
Toll war damals noch das Gefühl des Idealismus, was naiv durch Musik z. B. verstärkt wurde.
Wie gerne hab ich damals Schallplatten von Joan Baez, von sämtlichen Liedermachern gehört. Wie schön war es für mich, auf dem Konzert von Joan Baez und Bettina Wegner in der Waldbühne in der der ersten Reihe zu sein.
Gleichzeitig war mein ganz kleines persönliches Leben so schwer. Also z. B. beruflich.
Schon Ende der 70iger landete ich durch zwei Suizidversuche in der Klinik, also zweimal.
Erstmal noch in der Schulzeit, dann während der ersten Ausbildung.
Während der Erzieherausbildung dann hatte ich sehr viele schöne Erlebnisse, aber ich hatte gleichzeitig auch viele psychische Probleme. Letztendlich hatte ich festgestellt, dass ich zur Erzieherin praktisch überhaupt nicht geeignet war.
Insofern sehe ich meine Vergangenheit schon sehr zwiespältig.
Es gab diese scheinbar tolle Zeit. Diese Aufbruchszeit. Von der heute nix mehr übrig zu sein scheint.