Ich denke ganz viele Menschen hier haben, wie du auch, ihr gesundheitliches Päckchen zu tragen.
Der eine sieht der Krankheit ins Auge, nimmt sie an, andere verdrängen sie, wollen nichts davon wissen.
Meine Freundin hatte vor einem Jahr Darmkrebs, angeblich alles halb so wild, weil alles so früh entdeckt wurde.
Dann wurde doch eine Chemo nötig. Nach weiteren 4 Wochen wurde bei einem Routine MRT Tumore auf der Leber entdeckt - in meinen Augen Metastasen, Sie sagt, nein, diese Tumore würden manchmal nach dem überstandenen Darmkrebs in der Leber auftreten. Sie wären nicht so tragisch, da sie frühzeitig entdeckt wurden. Es wäre auch keine Chemo anschließend nötig.
Nach der anschließenden Operation brauchte sie doch wieder eine Chemo. Dann ging es ihr 5 Wochen gut, sie war total happy, als Singel datete sie wieder Männer und sah hoffnungsfroh in die Zukunft.
Nach weiteren 5 Wochen wurde ihr Bauch ganz dick.
Beim MRT , wurde Aszites (Bauchwassersucht) festgestellt. Der behandelnde Arzt sprach von einer niederschmetternde Diagnose.
Meine Freundin akzeptierte das nicht, suchte andere Ärzte, und einer meinte:" alles halb so wild".
Es befinden sich Tumore im Bauch, man müsste eine Chemo machen und dann diese Tumore operieren.
Nun macht sie gerade wieder mal eine Chemo und richtet ihren Blick voll auf die Zukunft.
Sie datet Männer und macht Pläne, Schmerzen hat sie scheinbar nur nach der Chemo.
Ich habe mich Gott sei Dank von Anfang an zurückgehalten, habe sie reden lassen.
Nun teilt sie mir mit, dass ihr die ganzen dummen Ratschläge der Freundinnen auf den Geist gehen, sie braucht Menschen die positiv denken und nicht negativ. Negative Menschen würden sie nur runterziehen.
Ganz ehrlich, ich habe seitdem den Kontakt eingeschränkt, ich käme mir so heuchlerisch vor. Ich habe Angst irgendein unbedachtes Wort zu sagen, dass sie runterzieht und das will ich nicht.
Also schränke ich den Kontakt von mir aus ein, da ich furchtbar schlecht schauspielern kann.
Ich frage mich wirklich, ist sie so naiv, oder verdrängt sie alles.
Ich würde meinen Nachlass regeln, hätte mit Sicherheit keine Lust auf Partnersuche zu gehen.
Nach den ganzen Enttäuschungen der letzten Jahre mit Partnerschaften, die sie ganz schön runterzogen, würde ich mein Augenmerk auf mich legen. Ganz ehrlich, welcher neue Partner will einen Menschen mit so einer Diagnose?
Du siehst, lieber Helmut, jeder geht anders mit seiner Krankheit um.
Ich persönlich bin der Meinung, solange man keine Schmerzen hat, macht die Vorstellung vom Tod Angst.
Ich selbst lebe seit 55 Jahren (seit meiner frühesten Kindheit) mit den stärksten Schmerzen.
Nur durch Medikamentencocktails aus Morphium und anderen Substanzen konnten mir die Ärzte ein einigermaßen erträgliches Leben bieten. Unzählige Operationen habe ich hinter mir.
Oft wäre der Tod für mich eine Erlösung gewesen und oft habe ich mich gefragt, warum ein Mensch so grausam leiden muss bis er endliche sterben darf.
Würde man sein Tier so leiden lassen, hätte man eine Anzeige wegen Tierquälerei am Hals.
Deshalb finde ich das neue Gesetz mit der Sterbehilfe auch so unendlich wichtig und bin dankbar dass es durchgesetzt wurde.
Jeder soll selbst entscheiden können wann die Kraft zu Ende ist und dann in Würde sein leben beenden können.
Vielleicht kommt es gar nicht so drauf an, wie lange wir leben, sondern wie wir gelebt haben.
Mir wurde mit 30 Jahren gesagt, dass ich eine Prognose von 5 Jahren hätte.
Mein Ziel war es dann: ich wollte unbedingt solange leben, bis meine Tochter die Kommunion in der 3. Klasse feierte.
Dieses Etappenziel wurde erreicht. Das nächste Ziel war das Abitur meiner Tochter. Zwischendurch sah es nicht danach aus, aber letztendlich wurde auch dieses erreicht.
Ich war unendlich dankbar, meine Tochter so lange begleiten zu dürfen. Aber ich spürte, sie braucht mich, ohne mich hätte sie ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen. Gerade weil sie mit einer kranken Mutter aufwuchs, war die Bindung zu mir umso inniger.
Deshalb mein großes Ziel: durchhalten bis zum Ende des Studiums.
Auch das habe ich geschafft. Jetzt ist sie 31 Jahre - was will ich mehr?
Ich habe trotz meiner Krankheit, durch die Hilfe vieler Ärzte und Therapeuten und meiner Krankenkasse alle Therapien bekommen die man sich vorstellen kann.
Manchmal schlage ich auch mit Hilfe der Medikamente über die Stränge und gönne mir etwas, dafür nehme ich es in Kauf, dass ich anschließend 1 Woche flach liege.
Ich war im Laufe meines Lebens in so vielen Kliniken, habe soviel Leid gesehen, Menschen die extrem krank sind, die finanzielle Sorgen haben, deren Partner kein Verständnis für die Krankheit aufbringen, die von diesen noch Vorwürfe bekommen, Kranke die ihren Beruf nicht mehr ausüben können und deshalb nicht wissen wie sie über die Runden kommen. Patienten, die von Ärzten in Stich gelassen werden, deren Krankenkasse bei jeder Therapie einen Aufstand macht und und und.
All diese Sorgen habe ich nicht - und dafür bin ich dankbar.
Wenn ich heute gehe, dann geh ich zufrieden aus dieser Welt, denn ich weiß, niemand kann im Leben alles haben. Bei mir war es halt die fehlende Gesundheit - ich habe trotzdem das Optimalste daraus gemacht.
Lieber Helmut: nicht die Jahre machen unser Dasein aus, sondern das was wir aus den Jahren gemacht haben.
Wenn du jetzt schmerztechnisch noch in der Lage bist, erfülle dir doch noch die Dinge, die du schon immer mal machen wolltest!
Musst du wirklich noch die letzten Jahre in der Arbeit verbringen? Es muss nichts übrig bleiben, du bist Single! Mach es dir so schön als möglich.
Ich wünsche dir von Herzen eine möglichst lange schmerzfreie Zeit und drück dich ganz arg.
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