Deine Frage war ja "Mund halten oder kündigen" - aus meiner Sicht beides keine guten Ideen.
Liebe Vögelin,
Du bist doch eigentlich eine ganz patente Frau. Aber in dem Fall offenbar so gefangen in alten Verhaltensmustern und Ohnmachtsgefühlen, daß es Dir nicht gut gelingt neben Dich zu treten und das Ganze aus einer ruhigeren und distanzierteren Perspektive zu betrachten.
Wenn das alles so ist, wie Du es beschreibst, dann würde ich es so zusammenfassen:
Du bist ein tüchtige, zuverlässige und fleißige Mitarbeiterin, die regelmäßig Überstunden macht und bei Abeitsspitzen noch zusätzliche Arbeit übernimmt
Deine Kollegin erledigt zwar eine für die Firma wichtige Aufgabe, schiebt aber andere Arbeiten von sich weg und ruht sich auf kollegenkosten aus
Das läßt sich doch sicher dokumentieren. Deine Stunden. Deine Arbeit + Zusatzarbeit. Ihre Arbeit, die sie delegiert, ihre Freiräume
Ich würde mich jetzt weniger darauf konzentrieren, ihr persönliches Fehlverhalten, Lügen etc vorzuwerfen, zumal der Chef ja schon signalisiert hat, daß er das toleriert, sondern die Qualität Deiner Arbeit dokumentieren und welche Tätigkeiten aus ihrem Aufgabengebiet Du bereits jetzt übernimmst.
Deine Stelle hat doch ein Aufgabenprofil. Es gilt zu dokumentieren, daß Du das zu 100 % erfüllst und darüber hinaus noch folgendes....
Bereite Dich so ganz sachlich und selbstbewußt auf das Gespräch vor. Indem Du Deine gute Leistung hervorhebst. Und wenn Du noch mehr aufgehalst bekommen sollst, dann verweist Du stoisch auf die bereits jetzt geleisteten Überstunden. So viele gute Bürokräfte gibt es gar nicht aktuell auf dem Markt, mach Dir da mal keinen Kopf.
Und für eine Kündigung braucht es ja auch erst mal eine Begründung. Daß die andere Kollegin so aus dem nichts, ohne daß etwas vorgefallen ist, nur aufgrund von Lügen gekündigt wurde, erscheint mir nicht ganz nachvollziehbar. Vielleicht hat die gekündigte Kollegin Dir auch nicht alles gesagt.
Bereite Dich gut vor und hör Dir erst mal an, worum es geht. Du kannst das Gespräch auch jederzeit unterbrechen, wenn Du merkst, Du wirst unsachlich oder gerätst in Panik o.ä. Dann geh zur Toilette, schau ob Du wieder in Deine Souveränität finden kannst, und wenn nicht, sage einfach, daß Du jetzt gerade nicht viel dazu sagen möchtest und das Gespräch lieber in einigen Tagen fortsetzen möchtest. Das ist manchmal die vernünftigste Strategie bevor man sich um Kopf und Kragen redet. Dann lieber zuhause ein neues Konzept machen und sich für die zweite Gesprächshälfte innerlich neu aufstellen.
Ich vermute, Ihr habt keinen Betriebsrat, den Du zu dem Gespräch dann ggf. hinzuziehen könntest?
Es macht aus meiner Sich auch viel Sinn, ein solches Gespräch mit einer guten Freundin vorher mehrmals zu üben. Ich komme aus dem Theaterbereich- Ich weiß wie viel Sicherheit einem das Proben vor dem Auftritt vermittelt. D.h. nicht, daß Du Theater spielen sollst, aber üben, selbstbewußt, sachlich und bestimmt Deine Anliegen vorzutragen ohne weinerlich, hysterisch oder blockiert zu reagieren. Und nicht in Ohnmacht und Hilflosigkeit zu verfallen oder gar wie ein explodierender Vulkan zu reagieren. Das ist im Berufsleben nicht angemessen und bringt Chefs vor allem sofort selbst in eine Blockadehaltung und in Widerstand. Der will Dir dann inhaltlich gar nicht mehr zuhören, sondern das Gespräch beenden und Dich schnellstmöglich aus dem Büro haben.
Tatsächlich macht deine Kollegin das ja gar nicht so ungeschickt. Vielleicht kannst Du Dir was von ihr abschauen. Nicht das Lügen, aber vielleicht den Umgangston in Gesprächen mit dem Chef.
Hilfreich wäre es auch, Dich nicht mit dem Gedanken an die Gerechtigkeitsfrage zu blockieren, daß die Kollegin entlassen gehört, weil sie lügt und die andere Kollegin zu Unrecht entlassen wurde. damit hast Du nichts zu tun. Wenn der Chef es so bewertet, daß im Sinne der Firma ihr Aufgabengebiet besonders wichtig ist und sie einen besonders guten job macht, dann ist das so. Er hat das recht als Chef so zu werten. Und kein Chef möchte von seiner Mitarbeiterin vermittelt bekommen, er habe einen Fehler gemacht als er der Kollegin Zugeständnisse gemacht hat, um sie zum Bleiben zu bewegen. Chefs mögen es nicht, wenn ihre Entscheidungen negativ bewertet werden.
Wichtig ist, daß Du souverän bei Dir und Deinen guten Leistungen bleibst und Deinem Verdienst für die Firma und das hervorhebst. Also nicht so sehr: "Die muß weg", sondern "ich bin super und wäre nur schwer zu ersetzen"
Und wenn die Arbeit der Kollegin so wichtig ist für Eure Firma und sie vielleicht keine Vertretung hat und vielleicht noch besser bezahlt wird und sonstige Prioritäten hat, wäre es nicht vielleicht interessant, ihr Aufgabengebiet zu übernehmen? Wäre das was für Dich? Hättest Du Lust auf die Aufgabe?
Weiterhin :
Zu Deinem aktuellen Arbeitsplatz würde ich - später nach Klärung des aktuellen Gesprächs - schauen, ob das den Arbeitsschutzrichtlinien entspricht und ggf. Schritte einleiten.
Zu dem Vorstellungsgespräch wünsche Ich Dir viel Glück. Man muß nicht jede Frage ausführlich beantworten. Eine Floskel "aus persönlichen Gründen" reicht. Falls die dann wider Erwarten noch mal nachhaken, kannst Du souverän antworten, daß Du die persönlichen Gründe nicht näher ausführen möchtest. Den Rest wird sich jeder personaler denken. Und es ist auch völlig üblich, daß Menschen den Arbeitgeber aus persönlichen Gründen wechseln. Neben mehr Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen und Aufstiegsmöglichkeit, sind persönliche Gründe wohl der häufigste Wechselgrund. Wenn Du Deinem potentiellen Arbeitgeber vermitteln kannst, daß er einen Volltreffer mit Dir landet, erfahren, fleißig, zuverlässig, kann ohne große Einarbeitung sofort den job übernehmen, dann ist dem sowas von egal, welche persönlichen Gründe Dich zum Wechsel treiben. Hauptsache er bekommt seine Vakanz reibungslos mit einer TOP-Kraft besetzt.
Ich wünsche Dir einen kühlen Kopf für beide Gespräche. Viel Glück.