Amatio, ich muss die ja zugestehen, du malst ein wunderschönes Bild von einer rosaroten Zukunft.
Ein gewisser, massvoller Optimismus ist immer gut, um im Leben weiterzukommen.
Es könnte aber nicht weiter von der heutigen Realität weg sein. Du sprichst z.B. von einer vollständigen Rationalisierung und dass man 55% der Arbeitskräfte garnicht bräuchte.
Aktuell gehen die Baby Boomer in Rente, es entsteht eine riesen Lücke auf dem Arbeitsmarkt. Viele Unternehmen werden in wenigen Jahren 1/3 ihrer Belegschaft verlieren.
Meinetwegen können wir in 50 Jahren nochmal über das BGE reden, aber heute ist es vollkommen absurd.
In dem heutigen System kann man ja gar nicht vollständig rationalisieren. Dadurch entsteht die Lücke auf dem Arbeitsmarkt. Sie verschwindet in den Jahren nach der Einführung des BGE schrittweise durch Umstellung von Menschenarbeit auf Maschinenarbeit. Es ist jetzt richtig; und in 50 Jahren wird es dann wesentlich höher sein als heute.
Deine Aussagen zum Lohnabstand und dass man für Lau arbeiten würde, stimmen nicht:
Ich habe immer wieder von Leuten gehört die sich beklagen mit einem Job nur wenig mehr als Hartz IV zu haben, wenn sie im Niedriglohnbereich arbeiten.
Der Mindestlohn wird wird derzeit auf 12 € erhöht.
Derzeit liegt er bei 9,82 Euro. Am 1. Juli wird er auf 10,45 Euro erhöht (durch die Mindestlohnkommission). Und dann erst am 1. Oktober per Gesetz auf 12 Euro.
Danach hat jemand mit Mindestlohn und einer 39 Stunden-Woche gut 2.000 € Bruttolohn. Viele Steuern und Sozialabgaben gehen da nicht runter und es bleibt deutlich mehr als Hartz 4. Und wenn es nur um den Lohnabstand geht, könnte man hier nochmal steuerlich entlasten.
Bei Vollzeit ist der Lohnabstand heute in der Tat recht ordentlich. Nicht aber bei Teilzeit: Wenn jemand z.B. 100 Stunden monatlich zu 12 Euro pro Stunde arbeitet, dann hat er genau 1.200 Euro Bruttolohn pro Monat. Das ist genau die Hinzuverdienstgrenze bei Hartz IV. Das bedeutet, es gibt ab 1.200 Euro monatlich keine aufstockenden Leistungen mehr vom Jobcenter. Das ergibt ca. 950 Euro Nettolohn. Hartz IV ist etwa 900 Euro. Nur 50 Ocken mehr im Monat - das ist nicht viel. Bei 50% Abzügen vom Lohn + BGE ist der Nettolohn 600 Euro und kommt auf das BGE obendrauf (dessen Höhe ist für den Lohnabstand bedeutungslos). Daher beträgt der Lohnabstand dann 600 Euro. Also 12 x so hoch wie heute. Ein sehr guter materieller Anreiz um im Teilzeitbereich hinzuzuverdienen !
Und bei Vollzeit mit ca. 2.000 Euro monatlich ergibt sich ca. 1.440 Euro Nettolohn. Das ist 540 Euro mehr als Hartz IV. Bei 50% Abzügen vom Lohn + BGE ist der Nettolohn 1.000 Euro und kommt auf das BGE obendrauf. Daher beträgt der Lohnabstand dann 1.000 Euro. Also immer noch fast doppelt so viel wie die 540 Euro bei Hartz IV heute.
Du sprichst nicht von einer "maßvollen" Umverteilung, sondern von einer Verdopplung(!) des Existenzminimums auf Kosten der Gesellschaft. Jedes Rechenmodell, welches dies finanziert, benötigt dafür massive Steuererhöhungen. Es ist rein rechnerisch nicht anders. Selbst wenn du unterstellst, dass nicht weniger gearbeitet wird und die Reichen nicht auswandern.
Du hast leider nicht richtig gelesen: Ich sprach davon, das BGE zunächst in Höhe des Existenzminimums einzuführen. Und es dann über 50 Jahre hinweg schrittweise real in seiner Kaufkraft zu erhöhen (über die Inflationsrate hinaus). Dazu ist eine jährliche durchschnittliche Produktivitätssteigerung von 1,396% erforderlich, um dies ohne Steuererhöhungen finanzieren zu können ((50ste Wurzel aus 2 - 1) x100). Das ist sicherlich etwas mehr als es im Durchschnitt der letzten 50 Jahre war (ich gehe dabei von einem Durchschnittswert der letzten 50 Jahre von etwas über ein Prozent aus (etwa 1,05% bis 1,15% ). Genaue Zahlen sind schwer zu bekommen. Ich habe aber eine solche Zahl in Erinnerung.) Natürlich ist das etwas mehr als bisher üblich. Aber angesichts der mit dem BGE dann zusätzlich genutzten Rationalisierungspotenziale ohne weiteres als realisierbar anzusehen.
Wer bestimmt denn was gesellschaftlich sinnvoll ist? Derzeit tut es der Verbraucher, indem er Dinge kauft oder nicht. Das ist ein gutes System, weil so die begrenzten Resourcen einer Gesellschaft durch Angebot und Nachfrage an den richtigen Ort kommen. Es gibt so kaum Mangel, Produkte und Dienstleistungen sind immer verfügbar. Schau dir Planwirtschaften an, in denen Menschen glaubten schlauer zu sein als der Markt....
Natürlich ist das ein gutes System. Und das bleibt auch bestehen. Hier geht es um gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten, die eben nicht gekauft werden, weil sie nicht entlohnt werden. Daher ist die Motivation für diese Tätigkeiten nichtfinanziell. Deshalb braucht man Geld für diese Tätigkeiten nicht als
Motivationsgrundlage. Es wird jedoch in einer anderen Funktion gebraucht: Als
Ermöglichungsgrundlage. Denn man braucht ja Energie, um eine Leistung zu erbringen. Dafür muß man etwas essen. Und das kostet Geld. Man muß ausgeschlafen sein. Dafür braucht man ein Bett. Das kostet Geld. Man braucht eine Wohnung. Die kostet Miete. Man braucht Kleidung. Die kostet Geld. Man braucht eine Gesundheitsversorgung. Die kostet auch Geld. usw.
Das Grundeinkommen dient also zur Ermöglichung nichtfinanziell motivierter Leistungen und diese leisten einen Beitrag zur nichtmateriellen Wertschöpfung.
Ein BGE zerstört die steuernde Funktion von Preisen und Löhnen. Wenn Morgen z.B. niemand mehr Arzt werden will, hätten wir ein Problem. Erwerbstätigkeit ist nicht nur etwas um Geld zu verdienen, sondern um die Bedürfnisse einer Gesellschaft zu befriedigen.
Das trifft nicht zu (siehe oben).
Es geht eben um die Bedürfnisse der Gesellschaft, die mit nichtentlohnten, aber dennoch durch Geld ermöglichten Tätigkeiten befriedigt werden, die wichtig für das Funktionieren der Gesellschaft sind.
Du scheinst sehr intelligent zu sein. Aber das reicht nicht, um das BGE zu verstehen: Man muß dafür auch
"open minded" sein und die orthodoxe Betrachtung von Wirtschaft und Gesellschaft
durch eine weitere Perspektive ergänzen.