Ich habe die restlichen Tage durchgezogen.
Das Praktikum war für mich sehr lehrreich. Das ist positiv.
Ich habe nicht erwartet, dass mein Wissen aus dem ersten Studium noch so präsent ist und mir dort so nützlich sein könnte. Alle dort wurden mir mit einer Aphasie aufgrund von Hirnschädigung vorgestellt. Mit der Beschäftigung dieser Menschen wurde mir aber schnell klar, dass das so nicht ganz richtig sein konnte. Ich war mir sicher, dass zB. bei einer jungen Frau keine Aphasie das Problem ist. Das Sprachzentrum ist bei ihr in Tackt. Ich habe mit ihr eine Geburtstagskarte gestaltet, sie kann schreiben, spricht sogar mehrere Sprachen, versteht Sprache, etc. Das Problem ist die Aussprache aufgrund ihrer sehr ausgeprägten Spastiken. Ich durfte mir dann das Infoblatt zu ihr durchlesen, wo auch ihre Diagnose drauf stand. Und da hatte sich das dann bestätigt. Eine andere Frau hat starke Wortfindungsstörungen, versteht aber alles und kann im Grunde auch sagen, was sie möchte, wenn ihr die Worte einfallen. Da ist das Lexikon im Sprachzentrum betroffen. Mein Wissen darüber konnte den Kollegen dort helfen, besser bzw. individueller auf die Leute dort einzugehen. Das hat mich gefreut.
Ich durfte an zwei Mitarbeitersitzungen teilnehmen und mich dort auch einbringen. Dies tat ich auch. Ich habe dort angemerkt, dass ich das Gefühl habe, dass sich dort (was ja auch normal ist) eine Art Betriebsblindheit eingestellt hat und dass gar nicht mehr so genau auf die Anliegen der Beeinträchtigten dort eingegangen wird und es vielleicht andere Wege braucht, um sie zu verstehen und "mitzunehmen". Das hat mich extrem viel Mut gekostet, mich da als "Neue" so einzumischen. Aber am nächsten Tag hat sich der Chef bei mir dafür bedankt.
Ich habe mich nach wie vor sehr schwer mit den Körperflüssigkeiten getan. Je länger ich aber mit diesen Menschen zutun hatte, umso leichter wurde es für mich. Dann macht man es einfach, es wird irgendwie "normal". Okay, zugegeben, das Sterilium wurde dort zu meinem besten Freund..
Ich war ja selber mal in solch einer Hilflosen Situation und ich ziehe meinen Hut vor den Menschen, die das täglich tun. Was eine wertvolle Erfahrung für mich war ist, dass je mehr man eine Beziehung zu den Beeinträchtigen aufbaut, umso weniger wurde mein Ekel getriggert. Trotzdem ist für mich auch klar geworden, dass ich lieber für Menschen arbeiten möchte und nicht mit ihnen, da es da zu viele Trigger für mich gibt. Also ist meine Entscheidung für das Studium sehr richtig.
Am Ende des Praktikums jetzt sagte mit der Chef, dass sie dort sehr selten Praktikanten mit einem Hochschulabschluss oder Studium haben und dass er es schade findet, dass ich nicht dort lieber eine HEP Ausbildung machen möchte. Er fand meinen Umgang mit den Beeinträchtigen toll. Das sagten mir auch die Kollegen dort. Ich selbst hatte das Gefühl nicht so, weil ich so wenig Selbstvertrauen habe und mich immer ins kalte Wasser geworfen fühlte, wenn man mir zugetraut hat, dass ich jetzt dies oder das machen sollte.
Und auch ganz generell habe ich durch die damaligen Erfahrungen mit dem Übergriff und diesem angeblichen besten Freund einen sehr starken inneren Kritiker in mir, der grundsätzlich daran zweifelt, dass ich kein schrecklicher Mensch bin.
In diesem Praktikum ist mir diese Diskrepanz zwischen Fremd und Selbstwahrnehmung nochmal sehr aufgefallen. Ich bekomme oft gesagt, dass ich ein netter Mensch sei. Glauben aber kann mein Inneres das nicht, es wartet nur darauf, dass sich bestätigt, dass es nicht so ist. Aber vielleicht haben diese Menschen auch recht und sie erkennen etwas an mir, das ich nicht mehr sehe. Mir wird das sehr oft gespiegelt und vielleicht liegt etwas Wahrheit in den Worten meiner Therapeuten, dass nicht ich damals das Problem war, sondern dieser Typ und auch dieser angebliche beste Freund.
Für mich jedenfalls war dieses Praktikum sowohl Fluch und Segen zugleich. Ich bin in der Lage 40 Stunden zu arbeiten, ich schaffe es mit den Menschen umzugehen, in diesem "sicheren" Kontext gelingt es mir, Grenzen zu setzen und ich konnte Ängste abbauen und etwas Selbstvertrauen in meine Stärken zurück gewinnen. Zugleich wurden mir meine persönlichen Grenzen nochmal klarer und was ungut für mich ist. Eine tolle Erfahrung für mich war auch, dass diese schwerst beeinträchtigten Menschen noch so viel Witz und Humor in sich tragen. Es gab viele Momente wo wir zusammen wirklich gelacht haben.
Jetzt geht dann das Studium los und ich bin mir sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.