"Erbschuld" ist ein so veralteter Begriff, daß er gar nicht mehr benutzt werden dürfte, jedenfalls nicht in einer fortschrittlichen Gesellschaft.
Erbschuld ist ein Begriff, der deutlich macht, dass Eltern ihren Kindern etwas mit auf den (Lebens-) Weg geben. Ist das immer nur Gutes? Ich kenne keinen Begriff, der die Verantwortung der Eltern in der Vererbungsfrage „was gebe ich meinen Kindern mit auf ihren Lebensweg?“ besser auf den kritischen Punkt bringt, als Erbschuld.
Wer, wie in dem Beispiel, lieblos aufwuchs und genau weiß, daß er selbst so mit einem eigenen Kind umgehen würde, auch weil ihm in Wahrheit nicht genug an einem eigenen Kind liegen würde, um es irgendwie "liebevoll" zu behandeln (nicht für jeden Menschen sind Kinder das Wichtigste oder auch nur ein wichtiger Punkt im Leben), dann zieht er halt die Konsequenz und verzichtet bewußt ganz auf Nachwuchs, und auf diese Weise wird diese erbliche Belastung (wie jede andere, z. B. Erbkrankheit) für alle Zeiten abgeschnitten und beendet. Eine "Schuld" könnte hier nur darin liegen, die fremden Untaten unreflektiert zu übernehmen und weiterzuführen, sprich sich selbst zum hirn- und mitleidslosen Glied in einer fortgesetzten Kette von Untaten und Un-Tätern zu machen.
Und genau das ist ja so oft der Fall: Menschen sind sich ihres Erbes oft nicht bewusst. Mir ist kein Mann bekannt, der auf Ehe oder Kinder verzichtet, weil er davon ausgeht, dass er seine Frau oder seine Kinder mißhandeln würde. Viele Menschen wissen schon, was sie tun. Aber anstatt zu reflektieren, gut und böse zu unterscheiden, versuchen sich zu rechtfertigen. So ungefähr in dem Sinne: „Ich bin garnicht so schlimm. Bei uns früher war die Erziehung noch schlimmer.“ Das unreflektierte Verhalten von Menschen ist die Realität, ebenso die gewissenlose Übernahme des schlecht erkannten Verhaltens. Dies gilt sowohl für das Verhalten vor der Ehe (Partnerschaft) wie für das Verhalten in einer Ehe (Partnerschaft). Erbschuld ist negativ. Daher empfinde ich den Begriff der Erbschuld als ein gutes Hilfsmittel, um öfter über die Vermeidung oder Verringerung einer solchen nachzudenken. Ihn aus dem Sprachgebrauch zu entfernen, begünstigt die unreflektierte und oft auch gewissenlose Weitergabe der Erbschuld.
Der Begriff "Erbschuld" stammt aus archaischen Zeiten, als die sogenannte "Sippenhaft" noch üblich war, als z. B. Kinder, Ehefrauen und andere Verwandte versklavt, verkauft oder eingesperrt werden durften um irgendwelcher Schulden ihrer Eltern/Sippe willen, zu dem Komplex gehören auch Dinge wie Blutrache oder die z. B. in der Bibel so oft erwähnten Feindschaften oder Racheschwüre "bis ins soundsovielte Glied = Generation von Nachkommen", gerade so, als ob Nachkommen an den realen oder eingebildeten Untaten ihrer Vorfahren schuld sein könnten. In Indien gibt es bis heute die "Kinderschuldknechte", ein anderes Wort für Sklaven, die die Schulden ihrer Eltern bei irgendwelchen Geldverleihern abarbeiten müssen, und aus dieser Knechtschaft nie herauskommen, weil die Sklavenhalter ganz frech die laufenden Ausgaben für Essen, Unterkunft etc. trotz menschenverachtender Minimalversorgung als höher beziffern als die "Abzahlungen" durch die Kinderarbeit. Staatliche Stellen kämpfen zwar gegen solche Praktiken an, spätestens wenn ihnen westliche Hilfsorganisationen deswegen wieder mal auf die Füße treten, aber gerade in kleinen Dörfern auf dem Lande ist es schwer, gegen solche jahrhunderte- und jahrtausendelang überlieferte "Traditionen" anzugehen.
Kurzfassung: "Erbschuld" ist ein Begriff, der in Diskussionen über (vor-)mittelalterliche und Dritte-Welt-Praktiken zu finden sein sollte, fortschrittlicheren Kulturen ist er schlicht unwürdig.
Und auch hier irrst Du. Die im Dritten Reich durch Deutsche ermordeten Menschen haben geschädigte, trauernde Familien hinterlassen. Noch heute ist die Trauer nicht abgeschlossen. Die Folgen sind immer noch existent. Wir können auch die gesamte Menschheitsgeschichte heranziehen. Für alle Menschen, die nach den vielen Kriegen, Morden, Versklavungen etc. leben, gilt das Gleiche, wie für den Mann und die Frau, die ihr Erbgut unreflektiert in eine eigene Partnerschaft (Ehe) übernehmen.
Im heutigen Deutschland ist die Mit-Verantwortung (Mit-Verschuldung) von Verwandten streng begrenzt und wird im Zweifel in Gerichtsverfahren entschieden, etwa in Fragen wie der Sittenwidrigkeit bei Bürgschaften von zwar mündigen, jedoch von vornherein mittellosen Ehefrauen für deren geldverprassende Ehemänner (Entscheidung Gericht: sittenwidrig ergo ungültig), oder der Mit-Verantwortung von Kindern für deren Eltern (minderjährige Kinder als Bürgen: geht z. B. gar nicht/ erwachsenes Kind als Zahler für geldkostende Eltern (z. B. im Pflegeheim): begrenzt, Kinder sind nicht verpflichtet, selber betteln zu gehen oder auf eine eigene Altersversorgung zu verzichten, nur weil die Eltern dem Staat Geld kosten).
Oder abermals in Kurzfassung, heute ist es - dank gerechterer Gesetze als früher - auch deutlich schwerer als früher, "Schuld" einfach auf andere zu übertragen, das mündige Individuum, das Mist (Schuldenhaufen) baut, muß diesen Mist dann in der Regel auch selbst ausbaden.