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Eigene Schuld - fremde Schuld

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Nordrheiner

Sehr aktives Mitglied
Wenn eine junge Frau z.B. in einen Mann verliebt ist und mit ihm GV hat und damit ihre Jungfräulichkeit verliert und dann nach einiger Zeit feststellt, dass der Typ es z.B. mit der Treue nicht so ernst nimmt, hat sie vielleicht einen Fehler gemacht, aber keine Schuld auf sich geladen. Zum Beispiel. Ok, vielleicht hat sie sich dann verrechnet;)
Hallo Silan,

wenn sie erkennt, dass sie einen Fehler gemacht hat, würde ich auch nicht auf dem Begriff Schuld herumreiten wollen. Ich unterstelle, sie überlegt worin ihr Fehler bestanden hat und lernt sozusagen aus ihrem Fehler.
Es gibt Menschen, die einen Fehler mehrmals wiederholen – und trotzdem nichts oder zu wenig daraus lernen. Manche Fehler haben keine (sichtbaren) Folgen. Manche Fehler sind gut reparabel. Aber in dem Fall, dass sich durch wiederholte Fehler der Mensch selbst schadet, heisst es doch allgemein: „selbst schuld.“ Oder?

So eine Feststellung ist in vielen Fällen sachlich zutreffend. Hilfestellung halte ich trotzdem für besser, als die Situation mit einer wenn auch zutreffenden Schuldzuweisung zu beenden.

Es gibt ein altes Lied von Reinhard Mey. Darin besingt er seine Kindheit, als er in der Schule faul war und ein Zeugnis mit vielen Fünfen bekam. Er fälschte die Unterschrift seiner Eltern. Der Schuldirektor bemerkte dies und zitierte die Eltern zu sich. In seinem Büro zeigte er den Eltern das Zeugnis mit den beiden gefälschten Unterschriften und bezichtigte den Sohn als Faulpelz und Betrüger. Beide Eltern sahen sich die Unterschriften an und erklärten, dass sie, die Eltern, die Unterschriften geleistet hätten. Die zittrige Schrift der Mutter käme vom Tragen der Einkaufstaschen und die schräge Unterschrift des Vaters wäre damit zu begründen, dass an dem besagten Tag die rechte Hand geschmerzt hätte und er, der Vater, mit links seine Unterschrift auf dem Zeugnis geleistet hätte.
Das Lied endete mit der Feststellung: Es mag falsch sein, dass ein zu recht Beschuldigter in Schutz genommen wird und sogar für ihn gelogen wird. Aber auf der anderen Seite ist hervorzuheben: Auch wenn man schuldig ist, ist es gut, einen Hafen zu haben, in dem man Schutz findet und geborgen ist.

LG, Nordrheiner
 

Silan

Aktives Mitglied
Hallo Silan,

wenn sie erkennt, dass sie einen Fehler gemacht hat, würde ich auch nicht auf dem Begriff Schuld herumreiten wollen. Ich unterstelle, sie überlegt worin ihr Fehler bestanden hat und lernt sozusagen aus ihrem Fehler.
Ich hatte schon ganz bewusst geschrieben, dass sie vielleicht einen Fehler gemacht hat... kann ja auch sein, dass sie das nicht als Fehler sieht, z.B. weil es für sie trotz der späteren Trennung ein unvergleichliches Erlebnis gewesen ist oder sonst irgendwas.
Es gibt Menschen, die einen Fehler mehrmals wiederholen – und trotzdem nichts oder zu wenig daraus lernen. Manche Fehler haben keine (sichtbaren) Folgen. Manche Fehler sind gut reparabel. Aber in dem Fall, dass sich durch wiederholte Fehler der Mensch selbst schadet, heisst es doch allgemein: „selbst schuld.“ Oder?
In Bezug auf unsere junge Frau sehe ich es nicht als Fehlerwiederholung an, sollte sie mehrere ähnlich verlaufende Beziehungen haben. Sowas ist dann einfach Pech. Sollte jemand jedoch wiederholt echte Fehler machen, durch die er/sie sich dann auch noch eigenen Schaden zufügt sagt man im Allgemeinen zwar "selbst Schuld", aber ich finde solche verallgemeinerde Floskeln eher schwierig, weil dabei das Individuum außer Acht gelassen wird. Sollte man nicht immer schauen, warum das alles genau so ist?
So eine Feststellung ist in vielen Fällensachlich zutreffend. Hilfestellung halte ich trotzdem für besser, als die Situation mit einer wenn auch zutreffenden Schuldzuweisung zu beenden.
Wie willst du helfen, wenn du nicht hinterfragst?

Es gibt ein altes Lied von Reinhard Mey. Darin besingt er seine Kindheit, als er in der Schule faul war und ein Zeugnis mit vielen Fünfen bekam. Er fälschte die Unterschrift seiner Eltern.
Da würde ich ersteinmal vermuten, dass das Vertrauensverhältnis zu den Eltern gestört ist.
Der Schuldirektor bemerkte dies und zitierte die Eltern zu sich. In seinem Büro zeigte er den Eltern das Zeugnis mit denbeiden gefälschten Unterschriften...
Erst einmal ein guter Ansatz um zu schauen, was da los ist...
und bezichtigte den Sohn als Faulpelz und Betrüger.

... aber er entpuppt sich dann schon hier als schlechter Pädagoge.

Beide Eltern sahen sich die Unterschriften an und erklärten, dass sie, die Eltern, die Unterschriften geleistet hätten. Die zittrige Schrift der Mutter käme vom Tragen der Einkaufstaschen und die schräge Unterschrift des Vaters wäre damit zu begründen, dass an dem besagten Tag die rechte Hand geschmerzt hätte und er, der Vater, mit links seine Unterschrift auf dem Zeugnis geleistet hätte
.
Hier müsste man dann sehen, warum die Eltern so reagieren. Steckt der Sohn mit seinem mangelnden Vertrauen "nur" in einen pubertären Phase von der die Eltern wissen oder versuchen die Eltern etwas zu vertuschen, was in dieser Familie schief läuft?
Das Lied endete mit der Feststellung: Es mag falsch sein, dass ein zu recht Beschuldigter in Schutz genommen wird und sogar für ihn gelogen wird. Aber auf der anderen Seite ist hervorzuheben: Auch wenn man schuldig ist, ist es gut, einen Hafen zu haben, in dem man Schutz findet und geborgen ist.
Und selbst hier kann man nicht pauschal mal von Schud sprechen. Ja, der Junge hat einen Fehler gemacht, jetzt kommt es aber auf ganz viele zusätzliche Faktoren an, ob daraus eine Schuld entsteht. Z.B. wie alt ist der Junge? Was waren seine Beweggründe die Unterschriften zu fälschen? War er evtl. sogar von akuter Gewalt bedroht? Oder vielleicht doch grad in einer für ihn sehr unübersichtlichen, hormonell fehlgesteuerten pubertären Situation, etc.pp? Fragen über Fragen über Fragen, die vor einer Schuldfeststellung erst einmal geklärt sein sollten.

LG, Nordrheiner
Eigentlich mag ich Reinhart May, er hat oft schöne und auch gut durchdachte Texte. Aber diesen Text in diesem Kontext kann ich nicht unterschreiben.
 
Zuletzt bearbeitet:

Daoga

Urgestein
Hallo, Landkaffee,
Erbschuld ist ein interessanter Begriff. Was verstehst Du darunter?
Was ich u.a. darunter verstehe, will ich an folgendem Beispiel verdeutlichen:
Ein Kind wird lieblos aufgezogen. Eine wichtige Säule der Erziehung sind Schläge, die es bei Verfehlungen in großem Maße kennen l e r n t. Später, selbst Vater oder Mutter, gibt es das Gelernte an seine Kinder weiter. Liebe in der Form emotionaler Zuwendung, bleibt auch in der Folgegeneration ein Fremdwort.
Erbschuld ist schuldhaftes Handeln oder Unterlassen, dessen Folgen an die nächste Generation weitergegeben wird.
Wie bei jedem Erbe, kann der Mensch auch hier entscheiden, ob er das Erbe annimmt oder ablehnt. Kann man das so verallgemeinern? Schwierig. Wenn ein Mensch erblich belastet ist, kann er zwar sagen „ich will das nicht“, aber was er erblich erhalten hat, das hat er. Aber wie wehrt er sich gegen die Folgen des erhaltenen Erbes? Nicht immer kann man von Erb g u t sprechen. Es ist nicht alles gut, was der Mensch erbt.

LG, Nordrheiner
"Erbschuld" ist ein so veralteter Begriff, daß er gar nicht mehr benutzt werden dürfte, jedenfalls nicht in einer fortschrittlichen Gesellschaft. Wer, wie in dem Beispiel, lieblos aufwuchs und genau weiß, daß er selbst so mit einem eigenen Kind umgehen würde, auch weil ihm in Wahrheit nicht genug an einem eigenen Kind liegen würde, um es irgendwie "liebevoll" zu behandeln (nicht für jeden Menschen sind Kinder das Wichtigste oder auch nur ein wichtiger Punkt im Leben), dann zieht er halt die Konsequenz und verzichtet bewußt ganz auf Nachwuchs, und auf diese Weise wird diese erbliche Belastung (wie jede andere, z. B. Erbkrankheit) für alle Zeiten abgeschnitten und beendet. Eine "Schuld" könnte hier nur darin liegen, die fremden Untaten unreflektiert zu übernehmen und weiterzuführen, sprich sich selbst zum hirn- und mitleidslosen Glied in einer fortgesetzten Kette von Untaten und Un-Tätern zu machen.

Der Begriff "Erbschuld" stammt aus archaischen Zeiten, als die sogenannte "Sippenhaft" noch üblich war, als z. B. Kinder, Ehefrauen und andere Verwandte versklavt, verkauft oder eingesperrt werden durften um irgendwelcher Schulden ihrer Eltern/Sippe willen, zu dem Komplex gehören auch Dinge wie Blutrache oder die z. B. in der Bibel so oft erwähnten Feindschaften oder Racheschwüre "bis ins soundsovielte Glied = Generation von Nachkommen", gerade so, als ob Nachkommen an den realen oder eingebildeten Untaten ihrer Vorfahren schuld sein könnten. In Indien gibt es bis heute die "Kinderschuldknechte", ein anderes Wort für Sklaven, die die Schulden ihrer Eltern bei irgendwelchen Geldverleihern abarbeiten müssen, und aus dieser Knechtschaft nie herauskommen, weil die Sklavenhalter ganz frech die laufenden Ausgaben für Essen, Unterkunft etc. trotz menschenverachtender Minimalversorgung als höher beziffern als die "Abzahlungen" durch die Kinderarbeit. Staatliche Stellen kämpfen zwar gegen solche Praktiken an, spätestens wenn ihnen westliche Hilfsorganisationen deswegen wieder mal auf die Füße treten, aber gerade in kleinen Dörfern auf dem Lande ist es schwer, gegen solche jahrhunderte- und jahrtausendelang überlieferte "Traditionen" anzugehen.

Kurzfassung: "Erbschuld" ist ein Begriff, der in Diskussionen über (vor-)mittelalterliche und Dritte-Welt-Praktiken zu finden sein sollte, fortschrittlicheren Kulturen ist er schlicht unwürdig.

Im heutigen Deutschland ist die Mit-Verantwortung (Mit-Verschuldung) von Verwandten streng begrenzt und wird im Zweifel in Gerichtsverfahren entschieden, etwa in Fragen wie der Sittenwidrigkeit bei Bürgschaften von zwar mündigen, jedoch von vornherein mittellosen Ehefrauen für deren geldverprassende Ehemänner (Entscheidung Gericht: sittenwidrig ergo ungültig), oder der Mit-Verantwortung von Kindern für deren Eltern (minderjährige Kinder als Bürgen: geht z. B. gar nicht/ erwachsenes Kind als Zahler für geldkostende Eltern (z. B. im Pflegeheim): begrenzt, Kinder sind nicht verpflichtet, selber betteln zu gehen oder auf eine eigene Altersversorgung zu verzichten, nur weil die Eltern dem Staat Geld kosten).
Oder abermals in Kurzfassung, heute ist es - dank gerechterer Gesetze als früher - auch deutlich schwerer als früher, "Schuld" einfach auf andere zu übertragen, das mündige Individuum, das Mist (Schuldenhaufen) baut, muß diesen Mist dann in der Regel auch selbst ausbaden.
 

Nordrheiner

Sehr aktives Mitglied
Hallo, Silan,

vielen Dank für Deine ausführliche Antwort in Deinem Beitrag 44. Der Sänger schreibt sich tatsächlich Reinhard Mey. Ich wollte mich schon bei Dir für meine falsche Schreibweise entschuldigen, bis ich bemerkte, dass ich mich nicht verschrieben hatte. Sich entschulden, geht das überhaupt?

Moderne Menschen sehen in der Selbstbestimmung das höchste Gut und reagieren sehr empfindlich, wenn sie den Freiheitsraum für beschnitten halten. Wie wir Schuld definieren, hängt im Grunde davon ab, wieviel Freiheit wir dem Menschen zugestehen. Schuld setzt Freiheit voraus und Freiheit ist nicht möglich, ohne Verantwortung und Gewissen zu denken. Jedoch, nach meinem Dafürhalten, sind immer Bedingungen zu beachten, denen menschliches Verhalten unterliegt. Die Psychologie beispielsweise spricht in erster Linie von Schuldgefühlen, Schulderleben und Schuldbewusstsein, die nicht immer auf eine objektiv nachweisbare Schuld zurückgehen, sondern oft aus unbewussten Zusammenhängen wie Minderwertigkeitsgefühlen erwachsen.

Meine Definition von Schuld: Schuld entsteht, wenn der Schuldige die Wahlmöglichkeit hatte, die als schlecht definierte Tat zu unterlassen.

Bei dem Beispiel der Frau, die mehrere Liebhaber hatte…die mit ihrem ersten GV ihre Unschuld verlor, stellt sich die Frage: Was ist an vorehelichem GV schlecht?
Ist sie eine Muslimin, hat sie sich gegenüber der Religionsgemeinschaft schuldig gemacht und wird in vielen Fällen als Hure verachtet, ggf. ausgeschlossen. Hat sie das Ideal, ihren Traummann zu finden, den einen Mann in ihrem Leben, hat sie sich sich selbst gegenüber schuldig gemacht. In unserer ach so freien und aufgeklärten Gesellschaft gibt es sehr viele Frauen, die es bereuten, sich auf diesen oder jenen Mann eingelassen zu haben. (Umgekehrt gilt das natürlich auch). Schlecht bedeutet also: Werte und Lebensziele stehen auf der einen Seite und auf der anderen Seite wird abgewogen, inwieweit alles was ich denke und tue diesen Werten entspricht und mich meinem Lebensziel näher bringt – oder nicht. Ich denke: Der Mensch ist sein eigener größter Feind. Oft trifft auch zu: Das Ich fügt „mir“ mehr Schaden zu, als Dritte. „Ich“ tue oft genau das, was „mir“ schadet, „mich“ von „meinem“ Lebensziel und Glück entfernt.

Deine Interpretation des Liedes von Reinhard Mey empfinde ich als katastrophal. Du verteilst die Schuld des Jungen auf 1) schlechter Pädagoge, 2) Pubertät 3) Fehler in der Familie, 4) Alter des Jungen, 5) Beweggründe 6) etwaige Bedrohung 7) hormonelle Fehlsteuerung.
Solche Analyse ist geeignet, wenn es um die Abmessung des Strafmaßes geht. Aber darum geht es nicht. Du willst diese Fragen klären, bevor Du schuldhaftes Handeln feststellst. Es ist für mich klar, dass dem Jungen seine Faulheit bekannt war. Auch war ihm bekannt, dass er zumindest gegen die Erwartungshaltung seiner Eltern verstoßen hat. Um seine Schuld bzw. das Ergebnis seines schuldhaften Handelns zu verdecken, hat er seine Schuld vergrößert, indem er die Unterschriften seiner Eltern fälschte. Seine Tat ist ein Ausdruck seines schlechten Gewissens. Dies steht zumindest für mich fest.
Das Katastrophale an Deiner Interpretation ist Dein untauglicher Versuch, die Schuld des Jungen auf verschiedene Faktoren zu verteilen. Das gelingt Dir nicht, denn das Gewissen des Jungen spricht dagegen. Du stellst Dich mit Deiner Interpretation der Rettung des Jungen entgegen. Reinhard Mey hat die Tat der Eltern als seine Rettung empfunden. Und Rettung ist das, was Menschen suchen. Menschen haben Schuld, haben Angst. In dem einen Fall sind Schuldgefühle und Angst berechtigt, lassen sich an konkreten Tatbeständen festmachen, in anderen Fällen nicht. Aber das ist den Menschen erstmal egal, sie suchen Hilfe, sie wollen gerettet werden. Und unser Forum ist voll mit Menschen, die aus Gründen der Schuld oder der Angst nach Hilfe rufen. Sie wollen nicht die Bemessung ihres Strafmaßes, sie wollen volle Befreiung ihrer Schuldgefühle und ihren Ängsten.

LG, Nordrheiner
 

Nordrheiner

Sehr aktives Mitglied
"Erbschuld" ist ein so veralteter Begriff, daß er gar nicht mehr benutzt werden dürfte, jedenfalls nicht in einer fortschrittlichen Gesellschaft.
Erbschuld ist ein Begriff, der deutlich macht, dass Eltern ihren Kindern etwas mit auf den (Lebens-) Weg geben. Ist das immer nur Gutes? Ich kenne keinen Begriff, der die Verantwortung der Eltern in der Vererbungsfrage „was gebe ich meinen Kindern mit auf ihren Lebensweg?“ besser auf den kritischen Punkt bringt, als Erbschuld.


Wer, wie in dem Beispiel, lieblos aufwuchs und genau weiß, daß er selbst so mit einem eigenen Kind umgehen würde, auch weil ihm in Wahrheit nicht genug an einem eigenen Kind liegen würde, um es irgendwie "liebevoll" zu behandeln (nicht für jeden Menschen sind Kinder das Wichtigste oder auch nur ein wichtiger Punkt im Leben), dann zieht er halt die Konsequenz und verzichtet bewußt ganz auf Nachwuchs, und auf diese Weise wird diese erbliche Belastung (wie jede andere, z. B. Erbkrankheit) für alle Zeiten abgeschnitten und beendet. Eine "Schuld" könnte hier nur darin liegen, die fremden Untaten unreflektiert zu übernehmen und weiterzuführen, sprich sich selbst zum hirn- und mitleidslosen Glied in einer fortgesetzten Kette von Untaten und Un-Tätern zu machen.
Und genau das ist ja so oft der Fall: Menschen sind sich ihres Erbes oft nicht bewusst. Mir ist kein Mann bekannt, der auf Ehe oder Kinder verzichtet, weil er davon ausgeht, dass er seine Frau oder seine Kinder mißhandeln würde. Viele Menschen wissen schon, was sie tun. Aber anstatt zu reflektieren, gut und böse zu unterscheiden, versuchen sich zu rechtfertigen. So ungefähr in dem Sinne: „Ich bin garnicht so schlimm. Bei uns früher war die Erziehung noch schlimmer.“ Das unreflektierte Verhalten von Menschen ist die Realität, ebenso die gewissenlose Übernahme des schlecht erkannten Verhaltens. Dies gilt sowohl für das Verhalten vor der Ehe (Partnerschaft) wie für das Verhalten in einer Ehe (Partnerschaft). Erbschuld ist negativ. Daher empfinde ich den Begriff der Erbschuld als ein gutes Hilfsmittel, um öfter über die Vermeidung oder Verringerung einer solchen nachzudenken. Ihn aus dem Sprachgebrauch zu entfernen, begünstigt die unreflektierte und oft auch gewissenlose Weitergabe der Erbschuld.



Der Begriff "Erbschuld" stammt aus archaischen Zeiten, als die sogenannte "Sippenhaft" noch üblich war, als z. B. Kinder, Ehefrauen und andere Verwandte versklavt, verkauft oder eingesperrt werden durften um irgendwelcher Schulden ihrer Eltern/Sippe willen, zu dem Komplex gehören auch Dinge wie Blutrache oder die z. B. in der Bibel so oft erwähnten Feindschaften oder Racheschwüre "bis ins soundsovielte Glied = Generation von Nachkommen", gerade so, als ob Nachkommen an den realen oder eingebildeten Untaten ihrer Vorfahren schuld sein könnten. In Indien gibt es bis heute die "Kinderschuldknechte", ein anderes Wort für Sklaven, die die Schulden ihrer Eltern bei irgendwelchen Geldverleihern abarbeiten müssen, und aus dieser Knechtschaft nie herauskommen, weil die Sklavenhalter ganz frech die laufenden Ausgaben für Essen, Unterkunft etc. trotz menschenverachtender Minimalversorgung als höher beziffern als die "Abzahlungen" durch die Kinderarbeit. Staatliche Stellen kämpfen zwar gegen solche Praktiken an, spätestens wenn ihnen westliche Hilfsorganisationen deswegen wieder mal auf die Füße treten, aber gerade in kleinen Dörfern auf dem Lande ist es schwer, gegen solche jahrhunderte- und jahrtausendelang überlieferte "Traditionen" anzugehen.

Kurzfassung: "Erbschuld" ist ein Begriff, der in Diskussionen über (vor-)mittelalterliche und Dritte-Welt-Praktiken zu finden sein sollte, fortschrittlicheren Kulturen ist er schlicht unwürdig.

Und auch hier irrst Du. Die im Dritten Reich durch Deutsche ermordeten Menschen haben geschädigte, trauernde Familien hinterlassen. Noch heute ist die Trauer nicht abgeschlossen. Die Folgen sind immer noch existent. Wir können auch die gesamte Menschheitsgeschichte heranziehen. Für alle Menschen, die nach den vielen Kriegen, Morden, Versklavungen etc. leben, gilt das Gleiche, wie für den Mann und die Frau, die ihr Erbgut unreflektiert in eine eigene Partnerschaft (Ehe) übernehmen.



Im heutigen Deutschland ist die Mit-Verantwortung (Mit-Verschuldung) von Verwandten streng begrenzt und wird im Zweifel in Gerichtsverfahren entschieden, etwa in Fragen wie der Sittenwidrigkeit bei Bürgschaften von zwar mündigen, jedoch von vornherein mittellosen Ehefrauen für deren geldverprassende Ehemänner (Entscheidung Gericht: sittenwidrig ergo ungültig), oder der Mit-Verantwortung von Kindern für deren Eltern (minderjährige Kinder als Bürgen: geht z. B. gar nicht/ erwachsenes Kind als Zahler für geldkostende Eltern (z. B. im Pflegeheim): begrenzt, Kinder sind nicht verpflichtet, selber betteln zu gehen oder auf eine eigene Altersversorgung zu verzichten, nur weil die Eltern dem Staat Geld kosten).
Oder abermals in Kurzfassung, heute ist es - dank gerechterer Gesetze als früher - auch deutlich schwerer als früher, "Schuld" einfach auf andere zu übertragen, das mündige Individuum, das Mist (Schuldenhaufen) baut, muß diesen Mist dann in der Regel auch selbst ausbaden.

Natürlich hast Du mit Deiner Kritik recht, wenn Du den Begriff Erbschuld in Länder wie Indien untersuchst, in denen Menschen unter mißbräuchlicher Verwendung dieses Begriffes Unrecht geschieht.



Durch Dein Beispiel wird aber deutlich, dass Schuld auch etwas mit der Kultur zu tun hat.

Hinsichtlich des schönen Begriffes (Mit-) Verantwortung beschränkst Du Dich leider auf die juristische Komponente. Gerne würde ich Deine Meinung lesen zu der ethischen, moralischen Mit-Verantwortung.

LG, Nordrheiner
 

Daoga

Urgestein
P.S. Die "Unschuld" im Zusammenhang mit "Jungfräulichkeit" ist ein Euphemismus für Worte wie "Unwissenheit", "Ahnungslosigkeit" und "Unerfahrenheit". Vor den Zeiten der sexuellen Aufklärung per Schule oder Massenmedien wußten, zumindest in den prüderen Teilen Europas, die wenigsten jungen Frauen, was da in der Hochzeitsnacht auf sie zukommt oder was mit "ehelichem Beischlaf" gemeint war. Sexuelle Aufklärung oder sogar tätliche Erfahrung war vor der Ehe für Frauen nicht vorgesehen, einfach weil das Risiko zu hoch war, daß die Braut schon mit einem fremden "Kuckucks-Balg" unter dem Herzen in die Ehe geht und dieses dann dem frischgebackenen Ehemann unterschiebt. In patriarchalischen Kulturen, bei denen alle Erblinien über die männliche Linie laufen, waren Kuckuckskinder alles andere als beliebt oder gar erwünscht, die Neigung zum Seitensprung ist dem Menschen genauso angeboren wie jeder anderen hauptsächlich monogam lebenden Art, und vor der Erfindung der modernen Vaterschaftstests galt grundsätzlich immer der Spruch "Mama´s baby, Papa´s maybe". (Für die nicht-Englisch-Könner: Mamas Baby = sicher, Papas = nur vielleicht.) Hat also mit der Schuld im Thread-Thema nicht unmittelbar zu tun.
 

Silan

Aktives Mitglied

Und genau das ist ja so oft der Fall: Menschen sind sich ihres Erbes oft nicht bewusst. Mir ist kein Mann bekannt, der auf Ehe oder Kinder verzichtet, weil er davon ausgeht, dass er seine Frau oder seine Kinder mißhandeln würde.

LG, Nordrheiner
Da zeigt sich für mich sehr deutlich, dass du anscheinend ziemlich weltfremd mit dieser Thematik umgehst.
Mir sind z.B. etliche Menschen bekannt, die aus diesen Gründen auf Partner und/oder Kinder verzichten. Einige kommen aus meiner eigenen Familie, was bedeutet, dass auch ich mich mit dem Thema "Schuld" in allen möglichen Variationen auseinandergesetzt habe. Ich bin irgendwann dazu übergegangen, die "Schuld" dahin zu geben wo sie hingehört und das bedeutet für mich, dass man mit dem Begriff "Schuld" aufhört zu pauschalieren.
Übrigens ist es für mich ziemlich egal, ob sich Her Mey mit a oder e schreibt. Ich hab ihm bestimmt mit meinem Fehler keinen Schaden zugefügt, also mich nicht schuldig gemacht... ach ja, ich vergaß, auf Rechtschreibfehler ist das ja nicht anzuwenden;) Warum wolltest du dich dann entschuldigen?
 
Zuletzt bearbeitet:

Daoga

Urgestein
@Nordrheiner: erstens mal, wäre schön, wenn Du nicht immer blau zwischen den zitierten Teilen schreiben würdest, der Blautext läßt sich nämlich nicht zitieren (oder ist das Absicht?).

Du verstehst also "Erbschuld" als alles schlechte, was man von seinen Vorfahren "abbkommt"? Dann müßtest Du es konsequent mit "Erbgewinn" auf alles ererbte Positive ausbalancieren, sonst bekommt man einen falschen Eindruck. Bei manchen Menschen überwiegt die eine, bei manchen die andere Seite, aber nur "Erbschuld" oder nur "Erbgewinn" als 100-Prozent-Chancen gibt es nicht, es ist immer ein Mix. Auch das lausigste Elternteil hat irgendwelche positiven Eigenschaften - wie vielleicht Durchsetzungsvermögen (verschärft Egoismus), Zähigkeit (verschärft Sturheit), Bauernschlauheit (das Wissen, wann es Zeit ist, sich zu verdrücken oder wo günstige Gelegenheiten zu finden sind) etc., genauso wie selbst der anständigste Mensch auf der Welt seine versteckten Schattenseiten hat, die er in der Öffentlichkeit gut zu verbergen weiß.

Und letztlich hat jeder Mensch tatsächlich die Wahl, ob er ererbte Merkmale - positiv oder negativ - zum Vorschein kommen läßt, sie nutzt oder anwendet oder sie brachliegen läßt. Nicht jedes Kind eines Künstlers muß - trotz Veranlagung - selber Künstler werden, wenn ihm eine andere Profession besser gefällt, und genauso muß nicht jeder Sproß aus einer asozialen Familie selber asozial werden. Das Wissen um die eigenen Wurzeln hilft dabei, sich zu orientieren, in welche Richtung man gehen will. Aber die sind in der Regel vorhanden, weil die wenigsten Menschen adoptiert sind oder völlig ohne Zugang zur eigenen Verwandtschaft aufwachsen. Mit anderen Worten, "Schuld" ist in meinen Augen nicht das, was man als latentes Material mitbekommt, sondern "Schuld" kann allenfalls aus dem entstehen, was man daraus macht. Und deshalb kann ich mit dem Pauschalbegriff "Erbschuld" tatsächlich nichts anfangen, weil er in eine ganz falsche Richtung deutet, als etwas, was völlig unvermeidlich sei - denn das ist es nicht.
 

Daoga

Urgestein
Auch im Zusammenhang mit Holocaust und anderen Massenvernichtungen, Kriegsgräuel etc. lehne ich den Begriff "Erbschuld" ab. Die Gattung Mensch war immer schon kriegerisch, und es gibt wahrscheinlich kein einziges Volk auf der Welt und keinen einzigen Menschen, der nicht unter seinen Vorfahren irgendwelche Mörder, Vergewaltiger und sonstige Kriminelle hätte. Manche haben vielleicht mehr als andere, historischen Gegebenheiten (und Gelegenheiten) geschuldet, manche sind rezenter (näher am Heute dran) als andere, aber auf "unschuldig" könnte hier niemand plädieren. D. h. es sind etweder alle "schuldig" - oder niemand, der nicht ganz real und aktuell selbst Schuld auf sich geladen hat. Die Erinnerung lebt immer nur ein paar Generationen nach dem Ereignis, und dann mischt die Geschichte wieder mal die Karten neu, und alles ändert sich. Wer sich heute noch an Uralt-Ereignisse von vor 2000 Jahren klammert, wie z. B. die radikalen Siedler in Israel, belastet sich HEUTE mit neuen Schulden, die in der Zukunft für jede Menge weiteren Ärger sorgen werden. Der Holocaust ist näher dran, noch leben ein paar Täter, und deren willige Helfer und Nutznießer. Statt "Schuld" auf unabsehbare Zeiten weiterzutragen, müßte es also im allgemeinen Interesse liegen, Schulden möglichst unmittelbar zu bereinigen, Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen und die Unbeteiligten zu entlasten, so daß in Zukunft Frieden herrschen kann. Aber der Wille dazu scheint vielfach zu fehlen oder wird nur sehr unvollständig und inkonsequent durchgeführt. (siehe z. B.: Jugoslawien-Krieg, Ruanda, die modernen Orte von Kriegsgräueln und Massenvernichtungen)
 

Daoga

Urgestein

Natürlich hast Du mit Deiner Kritik recht, wenn Du den Begriff Erbschuld in Länder wie Indien untersuchst, in denen Menschen unter mißbräuchlicher Verwendung dieses Begriffes Unrecht geschieht.

Ich würde sagen, daß die indische Definition im Gegenteil sehr genau ausdrückt, was "Erbschuld" wirklich bedeutet, nämlich die Schulden der Eltern/Vorfahren völlig selbst-unverschuldet aber zwangsweise aufgedrückt zu bekommen.

Durch Dein Beispiel wird aber deutlich, dass Schuld auch etwas mit der Kultur zu tun hat.
Hinsichtlich des schönen Begriffes (Mit-) Verantwortung beschränkst Du Dich leider auf die juristische Komponente. Gerne würde ich Deine Meinung lesen zu der ethischen, moralischen Mit-Verantwortung.

LG, Nordrheiner
Ohne juristische Komponente findet man heute wohl keine einzige Schuld-Definition mehr, weil es kaum etwas gibt, was nicht irgendwann vor Gericht durchgekaut wird. Unter Mit-Verantwortung wird heute gern die Sorte Verantwortung verstanden, die sich in Form von Geld ausdrücken läßt, mit Geld, das eben eingeklagt wird, wenn der Andere es nicht "freiwillig" herausrücken will. "Moral" ist immer nur so viel wert, wie sich im Zweifel dafür herausschlagen läßt. Und auch "Ethik" muß man sich erst mal leisten können, sonst bleibt sie nicht mehr als ein leeres Lippenbekenntnis.
 
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