Ich denke, ich kann deine Haltung ein Stück weit verstehen, weil mir vor allem früher Zynismus und eine allgemeine Enttäuschung "über die Menschheit" auch sehr nahe lagen. Insgesamt ist meine Haltung auch nicht, dass der "Einzelne" mit Verantwortung überfrachtet werden sollte (und beschämt werden sollte, wenn er dieser nicht nachkommt), sondern meiner Ansicht nach müssen Probleme vor allem politisch und strukturell gelöst werden. Trotzdem lebt Demokratie auch von Verantwortung und deswegen sehe ich deine Ausführungen etwas kritisch, ich hoffe, es kommt nicht zu belehrend oder unfreundlich rüber, so meine ich es nicht, ich schätze dich und deine Beiträge im Forum sehr. Ich möchte aber gerne meine Gedanken dazu aufschreiben.
Aus meiner heutigen Perspektive empfinde ich eine sehr zynische und fatalistische Haltung problematisch, weil es nach meinem Gefühl ein Weg ist, sich der eigenen Verantwortung als Teil der Demokratie nicht zu stellen. Ja, vieles auf der Welt läuft richtig schei*e und es ist schwer (nicht nur jetzt, lange schon) darauf zu vertrauen, dass nicht alles vor die Hunde geht, weil es so viele Beispiele von Inhumanität und grober Verantwortungslosigkeit gibt.
Aber ich finde, wenn sich alle in so einer Haltung verschanzen, sich resigniert zurückziehen, steckt diese Haltung zum einen an und man nutzt den, zugegebenermaßen meist nur sehr kleinen, Veränderungsradius, den man selbst hat, nicht. Was daran gut sein kann (vielleicht noch Selbstschutz? Das Gefühl, mit alle dem nicht mehr viel zu tun zu haben?), weiß ich nicht genau.
Genau diese Gefahr sehe ich auch, deswegen finde ich problematisch, sich resigniert zurückzulehnen und diejenigen machen zu lassen, die solche Haltungen vertreten. Unser Sozialstaat (der auch heute bei weitem nicht perfekt ist), ist meiner Meinung nach unser höchstes Gut, extrem wichtig, für ein halbwegs menschenwürdiges Leben. Ich finde sehr gefährlich, dass das in Vergessenheit gerät und immer weiter in Frage gestellt wird und für mich ist keine sinnvolle Option, das einfach geschehen zu lassen.
Dazu verlinke ich mal die Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung:
https://www.rosalux.de/publikation/id/52882/unsere-soziale-haengematte
Ein Stück weit sehe ich das auch so. Aber, auch wenn es plump klingt, die Demokratie sind wir alle und es gibt auch genug Menschen, die die Gefahr sehen und gerade in den letzten Jahren begonnen haben, sich zu organisieren, Strukturen aufzubauen, gerade auch im ländlichen Raum. Beispiele zB hier:
Netzwerk Polylux ist eine Initiative zur Förderung von zivilgesellschaftlichen Strukturen, die von rechts bedroht werden. #Demokratieleben #Solidarität https://www.polylux.network
www.polylux.network
Ich merke hier im Forum immer wieder, dass ich ein andere Verhältnis zu Politik habe, als viele Schreiber*innen hier. Vielleicht liegt das daran, dass ich in Berlin wohne und einige Menschen kenne, die in der Politik tätig sind. Für mich fühlt sich Politik jedenfalls nicht weit weg und abstrakt an, sondern ich sehe Veränderungspotentiale und ich kenne gute, engagierte Menschen, denen ich vertraue, wirklich gutes im Schilde zu führen.
Die Gefahr sehe ich auch. Deswegen ist das geringste, was man tun kann, wenigstens eine Partei zu wählen, die zumindest nicht widerspruchslos solche Diskurse mitträgt, zB die Linke. Selbst wenn man nicht von allem in ihrem Wahlprogramm überzeugt ist (ich finde eh illusorisch, ein Programm zu finden, das einem zu 100% zusagt), bildet sie (vor allem seid Wagenknecht & Co. endlich raus sind) zumindest ein Gegengewicht zum menschenverachtenden Diskurs und nimmt der AfD ein paar Sitze im Bundestag weg, wenn sie reingewählt wird. Mehr als nichts zu verbessern, kann es auch nicht.
Ich finde nicht wählen, wirklich nicht gut, auch wenn ich es zu Teilen verstehen kann. Aber die Botschaft, dass viele Menschen unzufrieden sind, kommt schon lange an und was nutzt es? Die AfD ist laut Umfragen bei 20+ %. Ich glaube, die eigene Unzufriedenheit durch nicht Wählen zu demonstrieren, macht wirklich gar nichts besser, bestärkt vielleicht noch die großen Parteien darin, ihren AfD nahen Kurs fortzusetzen.
Deswegen meine kleine Bitte: Wenn du selbst trotzdem überhaupt keinen Sinn drin siehst, tus für mich und wähle eine linkere Partei.
Nach dem, was ich im Forum hier von dir lese, denke ich zumindest, dass es deinen Haltungen nicht ganz entgegen steht.
Oder wir kapieren, KI für uns zu nutzen und revolutionieren den Arbeitsmarkt im Sinne von weniger Arbeit und einem anderen Steuersystem. Das ist ja eher meine Hoffnung, darüber hatten wir uns ja in anderen Threads schon ausgetauscht, dass ich in KI auch Potentiale für Verbesserung sehe.
Ich traue das den Menschen leider auch nicht im großen Stil zu, deswegen halte ich gut begründete und wissenschaftlich fundierte Verbote nicht immer für den falschen Weg. Es gibt ja prominente Beispiele wie das Nichtraucherschutzgesetz, das nach anfänglichem großen Protest inzwischen auch zur völligen Normalität geworden ist.
Ich halte von der populistischen Formulierung "die da oben" auch nicht viel, aber ich sehe tatsächlich ein großes Problem darin, dass sich Kapital bei einigen wenigen konzentriert und sich dadurch immer mehr Macht bei einigen wenigen konzentriert. Das hat für mich nichts mit Neid oder einfachen Antworten zu tun, aber ich sehe es (unter anderem) als eine der Gefahren unserer Demokratie und richtig, darüber zu sprechen.
Nach meinem Gerechtigkeitsempfinden gibt es auch einen großen Unterschied dazwischen, Menschen in Not für Probleme verantwortlich zu machen oder Menschen mit sehr viel Geld und Macht, die tatsächlich Einfluss haben.
Die ökonomische Stellung von Menschen beeinflusst, welche Positionen sie im sozialen Gefüge einnehmen. In Deutschland ist die Vermögensungleichheit hoch, die Einkommensungleichheit ist gestiegen.
www.bpb.de
Im vergangenen Januar veröffentlichte die Hilfsorganisation Oxfam eine verblüffende Statistik: Demnach verfügen die 62 reichsten Erdenbürger über ein Finanzvermögen von 1,76 Billionen Dollar. Das sei, berichtete Oxfam, so viel wie die ganze ärmere Hälfte der Menschheit besitzt, also mehr als 3,6...
www.blaetter.de